Studio 6
einen Fuß in eine Zeitungsredaktion setzen, vor allem nicht in diese. Sie würde ihre Tasche und ihre Kiste mit Aufzeichnungen holen und dem Journalismus für immer Adieu sagen. Resolut schloss sie die Tür auf. Der Seegang wollte nicht so richtig aufhören. Sie hielt sich in der Nähe der Wand, um nicht hinzufallen.
An Berits Platz angekommen, raffte sie schnell ihre Sachen zusammen und in die Tasche.
»Ah, da sind Sie ja, könnten Sie bitte einen Moment zu mir hereinkommen?«
Es war der neue Ressortleiter Anders Schyman, sie drehte sich erstaunt um.
»Wer, ich?«, fragte sie.
»Ja, sicher, ich sitze in dem Aquarium da drüben mit den widerwärtigen Gardinen. Kommen Sie doch bitte zu mir, wenn Sie einmal Zeit haben.«
»Ich habe jetzt Zeit«, erwiderte sie.
Sie bemerkte die verstohlenen Blicke der ganzen Redaktion, als sie auf das Zimmer des Chefs zusteuerte.
Eines ist sicher, dachte sie, es kann jedenfalls nicht schlimmer werden.
Es war kein schönes Büro. Die müden Gardinen waren wirklich schrecklich, der Raum war düster und roch muffig.
»Was stinkt denn hier so schrecklich? Haben Sie den Aschenbecher nicht geleert?«
»Ich rauche nicht. Es ist das Sofa. Setzen Sie sich bloß nicht drauf, das beißt sich in den Kleidern fest.«
Sie blieb einfach stehen, während er sich auf den Schreibtisch setzte.
»Ich habe bei Studio 6 angerufen«, begann er. »Einen derartigen Angriff auf eine Person habe ich noch nie erlebt, und wir haben noch nicht einmal Gelegenheit bekommen, etwas darauf zu erwidern. Ich habe schon die Anzeige an die Prüfungskommission für Radio und Fernsehen gefaxt. Es stimmt zwar, dass unser Chefredakteur verreist ist, aber ich war den ganzen Tag hier. Hat man versucht, Sie zu erreichen?«
Sie schüttelte nur den Kopf.
»Ich kenne diesen so genannten Experten. Er hat mal kurze Zeit bei meinem Magazin gearbeitet, aber ich musste ihn rausschmeißen. Eine Zusammenarbeit mit ihm war nicht möglich. Er intrigierte und redete so lange Mist, bis die ganze Redaktion drauf und dran war, zusammenzubrechen. Gott sei Dank war er nicht fest angestellt, sondern hatte eine eigene kleine Firma. Als ich schließlich den Entschluss gefasst hatte, musste er noch am selben Tag gehen.«
Annika starrte zu Boden.
»Und wo wir gerade von lancierten Gerüchten reden«, fuhr Anders Schyman fort und fischte dabei ein Fax aus dem Chaos, das sich bereits auf seinem Schreibtisch angesammelt hatte, »wir haben einen anonymen Tipp bekommen, dass auch ein konservativer Parteivorsitzender zu dem Mord an Josefine verhört worden sei.«
Er hielt Annika das Fax entgegen, und sie nahm es ihm wie betäubt aus der Hand.
»Woher kommt das?«, fragte sie.
»Das frage ich mich auch«, sagte der Ressortleiter.
»Sehen Sie die Nummer des Absenders in der Ecke? Die gehört zur Werbeagentur der Sozialdemokraten.«
»Meine Güte, wie blöd«, erwiderte Annika.
»Ja, nicht wahr?«
Sie schwiegen. Annika gab sich einen Ruck.
»Ich bin keinen gestreuten Gerüchten auf den Leim gegangen«, verteidigte sie sich.
Anders Schyman sah sie aufmerksam an und wartete, dass sie weiterredete.
»Ich habe mit niemandem über diesen Mordfall geredet, außer mit Berit und Anne Snapphane.«
»Auch nicht mit den Nachrichtenmachern?«
Annika schüttelte den Kopf.
»Nicht viel«, sagte sie leise.
»Das heißt, Sie haben diesen Mordfall ganz allein bearbeitet?«
Er klang etwas skeptisch, und sie riss sich zusammen.
»Na ja, so gut wie«, bekannte sie, und Tränen traten ihr in die Augen. »Es gibt sonst niemanden, dem man einen Vorwurf machen kann.«
»Nein, nein«, beeilte sich Anders Schyman zu sagen, »so habe ich das nicht gemeint. Ich finde, dass die Berichterstattung über den Mord in Ordnung war, um nicht zu sagen gut. Das einzig Dumme ist nur, dass wir die Sache mit dem Sexklub nicht hatten. Das wussten Sie aber, oder?«
Sie nickte.
»Wir hätten früher darüber schreiben sollen. Aber viel schlimmer ist es, das Mädchen wie eine Prostituierte darzustellen. Wie haben Sie eigentlich von dieser Wohnung des Ministers erfahren?«
Annika schniefte.
»Ich habe mit seiner Nachbarin Kaffee getrunken.«
»Fantastisch«, staunte Anders Schyman. »Und was war mit diesen Jugendlichen aus Täby?«
Annikas Augen blitzten auf.
»Also das«, empörte sie sich, »ist wirklich völlig unglaublich. Sie haben selbst angerufen und uns gebeten zu kommen, sowohl zum Jugendheim als auch heute zum Park.«
»Da ging es ziemlich hoch her, habe
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