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Stürmische Begegnung

Stürmische Begegnung

Titel: Stürmische Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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war es bitterkalt, zugig, menschenleer. An den weißgetünchten Wänden hingen Bilder, gegenständliche und abstrakte, große und kleinere, und in der Mitte des Saales ragten zwei Skulpturen auf wie Felsen, die von der Ebbe bloßgelegt worden waren. Neben der Tür stand ein Tisch mit Stapeln von Katalogen, Broschüren und der neuesten Ausgabe der Kunstzeitschrift The Studio, doch trotz dieser De koration herrschte in der Galerie die Atmosphäre eines freud losen Sonntagnachmittags.
    „So“, sagte Joss, stellte den Korb hin, nahm die Mütze ab und schüttelte sie trocken wie ein Hund sein Fell. „Was würden Sie gern sehen?“
    „Sophia.“
    Er hob den Kopf und sah mich durchdringend an, doch fast im selben Moment lächelte er, setzte die Mütze wieder auf und zog den Schirm bis unmittelbar über die Augen wie ein Gardesoldat.
    „Wer hat Ihnen von Sophia erzählt?“
    Ich lächelte zuckersüß. „Vielleicht Mrs. Thomas. Vielleicht Mrs. Kernow. Vielleicht Miss Freundlich vom Fremdenver kehrsamt.“
    „Wenn Sie frech sind, zeige ich Ihnen gar nichts.“
    „Hier ist doch ein Porträt von Sophia? Pettifer hat es mir ge sagt.“
    „Ja. Hier drüben.“
    Ich folgte ihm durch den Saal, unsere Schritte hallten in der leeren Weite wider.
    „Da“, sagte er. Ich blieb neben ihm stehen und sah hoch.
    Tatsächlich, da war sie. Sie saß im Lichtkegel einer Lampe mit einer Stickerei in den Händen.
    Ich betrachtete es einige Zeit und stieß dann einen enttäusch ten Seufzer aus. Joss blickte unter seinem lächerlichen Mützenschirm auf mich herunter.
    „Warum stöhnen Sie?“
    „Man kann ihr Gesicht auch hier nicht sehen. Ich weiß im mer noch nicht, wie sie ausgesehen hat. Warum hat er ihr Gesicht nie gemalt?“
    „Er hat es gemalt. Oft.“
    „Aber ich hab’s immer noch nicht gesehen. Es ist immer der Kopf von hinten, oder es sind ihre Hände, oder das Gesicht ist auf dem Bild so winzig, daß man es nicht erkennen kann.“
    „Ist es denn so wichtig, wie sie ausgesehen hat?“
    „Nein, wohl nicht. Ich möchte es nur wissen.“
    „Wie haben Sie überhaupt von Sophia gehört?“
    „Meine Mutter hat mir von ihr erzählt. Und dann Pettifer, und das Bild von ihr, das in Boscarva im Wohnzimmer, ist so schön, daß man das Gefühl hat, sie müsse wunderhübsch gewesen sein.“ Wir blickten wieder auf das Bild. Ich sah die Hände und den Schein der Lampe auf ihren dunklen Haaren. „Pettifer sagt, daß Bilder von ihr in vielen englischen Museen hängen. Ich werde wohl nach Manchester und Birmingham und Nottingham und Glasgow fahren müssen, um eines zu finden, das sie nicht im Dreiviertelprofil von hinten zeigt.“
    „Und was werden Sie dann tun?“
    „Nichts. Ich werde einfach wissen, wie sie ausgesehen hat.“
    Ich wandte mich ab und ging zurück zur Tür, wo der volle Einkaufskorb auf mich wartete. Joss war vor mir da und nahm den Korb, ehe ich ihn zu fassen bekam.
    „Ich muß zurück“, sagte ich.
    „Es ist erst-“ er sah auf die Uhr- „halb zwölf. Und Sie haben meinen Laden noch nicht gesehen. Kommen Sie mit und schauen Sie ihn sich an. Ich mach Ihnen einen Kaffee, und dann fahr ich Sie nach Haus. Sie können unmöglich mit dieser Zentnerlast den ganzen Hügel hochkraxeln.“
    „Natürlich kann ich.“
    „Ich lasse es nicht zu.“ Er öffnete die Tür. „Kommen Sie.“
     
    Ich konnte schlecht ohne den Korb zurückgehen, und er wollte ihn offensichtlich nicht aus der Hand lassen, so daß ich ihm resi gniert und widerstrebend folgte. Trotzig steckte ich die Hände in die Taschen, damit er meinen Arm nicht nehmen konnte. Mein unfreundliches Verhalten schien ihn nicht im geringsten zu stö ren. Doch als wir wieder zum Hafen kamen und erneut dem Sturm ausgesetzt waren, verlor ich um ein Haar das Gleichge wicht, und er lachte, zog sanft meine Hand aus der Tasche und nahm sie in seine. Eine entwaffnende Geste, fand ich. Jedenfalls äußerte ich kein Wort des Protestes.
    Sobald das Geschäft in Sicht kam, das hohe schmale Haus, das zwischen den beiden niedrigen, behäbigen aufragte, sah ich, daß sich in der Tat einiges verändert hatte. Die Fensterrahmen waren nun lackiert, die Schaufensterscheibe war geputzt, und über der Tür hing ein Schild: JOSS GARDNER.
    „Na, wie finden Sie es?“ In seiner Stimme schwang Stolz mit.
    „Sehr hübsch. Und sehr geschmackvoll“, mußte ich zugeben.
    Er nahm einen Schlüssel aus der Tasche, schloß auf, und wir gingen hinein. Auf dem Boden standen Packkisten, und rings

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