Stürmische Begegnung
dem Mah-Jongg-Spiel heraus, und wir spielten, bis es Zeit war, zu Bett zu gehen. Andrea saß neben Mollie, um die Regeln zu lernen.
Ich ertappte mich bei dem Gedanken, daß ein Fremder, der uns unerwartet überraschte, sicher hingerissen gewesen wäre von dem trauten Anblick, den wir hier, im Schein der Stehlampe, bei unserer zeitlosen Beschäftigung boten. Der angesehene Ma ler am Ende seiner Tage, im Kreis seiner Familie, die hübsche Schwiegertochter und der attraktive Enkel. Selbst die sonst so gleichgültige und desinteressierte Andrea schien wie gebannt vom Zauber des Spiels.
Ich hatte es als Kind mit meiner Mutter gespielt, und manch mal war ich als vierter Mann eingesprungen, wenn sie es mit zwei Freundinnen spielte. Ich erinnerte mich, wie die Steine aus Bam bus und Elfenbein sich anfühlten, erinnerte mich an ihre Schönheit und an das angenehme Geräusch, das sie machten, wenn wir sie auf dem Brett versetzten – wie Kieselsteine im Meer, die von der Flut in ihrer Ruhe gestört werden. Es hatte eine tröstliche und beruhigende Wirkung auf mich.
Zu Beginn jeder Runde bauten wir die zwei Steine hohen Mauern und schlossen sie zu einem Quadrat, „um die bösen Gei ster fernzuhalten“, wie Grenville sagte. Er hatte das Spiel als jun ger Oberleutnant zur See in Hongkong gelernt und war mit all seinen uralten abergläubischen Assoziationen vertraut. Wie leicht wäre es doch, dachte ich, wenn man Gespenster, Zweifel und Leichen im Keller auf diese Weise bannen und in Schach halten könnte.
Die Fremdenverkehrsprospekte und Plakate von Porthkerris zeigten samt und sonders ein Dorf, wo Meer und Himmel immer strahlend blau waren, die Häuser in der Sonne weiß glänzten und eine obligate Palme im Vordergrund an warme Mittelmeer strände erinnerte. Man sollte dann natürlich an frischen Hum mer denken, den man im Freien verspeisen konnte, an bärtige Maler in farbbeklecksten Kitteln und an wettergegerbte Fischer, malerisch wie Piraten, die auf Pollern saßen, ihre Pfeife rauchten und über den Fang der letzten Woche diskutierten.
Aber im Februar, bei stürmischen Winden aus Nordost, hatte Porthkerris keinerlei Ähnlichkeit mit diesem Traumparadies.
Das Meer, der Himmel, auch der Ort selbst waren grau, und durch das Gewirr der schmalen Gassen fegten eisige Böen. Jetzt, bei Hochwasser, brachen sich die Wellen mit lautem Getöse an der Kaimauer. Wasser spritzte über die Straße, überzog die Fen sterscheiben der Häuser an der anderen Seite mit einer weißen Salzschicht und füllte die Rinnsteine mit gelblichem Schaum wie aus einer Waschmaschine.
Es war, als herrschte so etwas wie Belagerungszustand. Die Leute, die Besorgungen machten, hatten ihre Mäntel bis oben zugeknöpft und schützten sich mit Wollschals, Kapuzen und hochgeschlagenen Kragen vor Kälte und Nässe. Männer und Frauen sahen mit ihren Gummistiefeln und ihrer dicken Ver mummung alle gleich aus.
Der Himmel war von der Farbe des Windes, überall wirbelten Blätter, kleine Zweige und Papierfetzen herum, dann und wann flog sogar irgendwo ein Ziegel von einem Dach. In den Geschäf ten vergaßen die Leute, was sie einkaufen wollten, und redeten über das Wetter, den Sturm und den Schaden, den er noch anrichten würde.
Ich ging wieder hinunter, um für Mollie einzukaufen, und kämpfte mich in einem geborgten Regenmantel und geborgten Gummistiefeln den Hügel hinab, weil ich mich auf meinen zwei Beinen sicherer fühlte als in Mollies allzu leichtem Auto. Jetzt, wo ich den Ort besser kannte, brauchte ich Andrea nicht mehr, um den Weg zu finden. Außerdem hatte Andrea ohnehin noch im Bett gelegen, als ich von Boscarva aufgebrochen war, und dieses eine Mal konnte ich es ihr nicht verdenken. Es war kein einladender Morgen, und ich konnte kaum glauben, daß ich erst gestern in der warmen Frühlingssonne draußen gesessen hatte.
Ich hatte den letzten Einkauf – beim Bäcker – erledigt und verließ den Laden in dem Augenblick, in dem die Uhr am Turm der normannischen Kirche elf schlug. Normalerweise wäre ich unter diesen Umständen sofort wieder nach Boscarva zurückge gangen, aber ich hatte noch etwas vor. Gesenkten Kopfes, den Korb im Arm, machte ich mich auf den Weg zum Hafen.
Ich wußte, daß das Kunstmuseum in einer alten Baptisten kapelle irgendwo im Labyrinth der Gassen im nördlichen Teil des Ortes untergebracht war. Ich hatte gedacht, ich würde einfach losgehen und das Gebäude suchen, doch als ich die Hafenstraße entlangging und
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