Stürmisches Herz
überhaupt nichts«, fauchte Sarah. »Wie kannst du es wagen, Courtney –«
Courtney unterbrach sie wieder, indem sie sich auf den Bettrand setzte. »Sieh doch her, Sarah. Du kannst mir nicht einreden, daß das nicht mein Vater ist.«
Sarah betrachtete das Bild lange, dann entspannte sie sich. »Du kannst weiterschlafen, Harry. Courtneys Phantasie ist mit ihr durchgegangen. Du hättest wirklich bis morgen früh warten können, um uns diesen Unsinn zu erzählen, Courtney.«
»Es ist kein Unsinn. Der Mann ist mein Vater. Und das Foto wurde in Waco gemacht, was beweist –«
Jetzt unterbrach Sarah sie. »Es beweist überhaupt nichts. Schön, es gibt in Waco einen Menschen, der Edward entfernt ähnlich sieht. Das Foto ist unscharf, und die Züge des Mannes sind verschwommen. Wegen einer flüchtigen Ähnlichkeit ist er noch lange nicht Edward. Edward ist tot, Courtney. Alle sind sich darüber einig, daß er die Gefangenschaft unmöglich überlebt haben kann.«
»Alle außer mir«, widersprach Courtney zornig. »Ich habe nie geglaubt, daß er tot ist. Vielleicht ist er geflohen. Vielleicht –«
»Dummkopf. Wo war er dann in diesen vier Jahren? In Waco? Warum hat er nie versucht, uns zu finden?« Sarah seufzte. »Edward ist tot, Courtney. Alles bleibt beim alten. Geh jetzt schlafen.«
»Ich reise nach Waco.«
»Du tust was?« Sarah brauchte einen Augenblick um zu begreifen, dann begann sie zu lachen. »Natürlich fährst du nach Waco. Wenn du dich unbedingt umbringen lassen willst, indem du allein auf Wanderschaft gehst, dann kannst du es von mir aus gern tun.« Dann wurde ihr Ton schneidend. »Und jetzt verschwinde und laß mich schlafen!«
Courtney wollte noch etwas antworten, überlegte es sich aber und verließ schweigend den Raum.
Sie kehrte nicht in ihr Zimmer zurück. Kein Mensch konnte sie davon überzeugen, daß der Mann auf dem Foto nicht ihr Vater war. Er war am Leben. Sie fühlte es instinktiv, hatte es immer gefühlt. Er war nach Waco gezogen – sie wußte nicht, warum, sie wußte auch nicht, warum er nicht versucht hatte, sie zu finden. Aber jetzt würde sie ihn finden.
Zum Teufel mit Sarah. Sie wollte einfach nicht, daß Edward am Leben war. Sie hatte einen Mann gefunden, der sie reich machen würde, und der ihr mehr zusagte als lidward.
Courtney begab sich in die Halle. Auf dem Pult brannte eine Kerze, aber sie entdeckte keine Spur von dem jungen Tom, der in der Nacht arn Pult sitzen sollte, falls ein verspäteter Reisender auftauchte. Es war schon vorgekommen, daß sich ein nächtlicher Gast selber auf die Suche nach einem Zimmer begeben mußte und dabei alle Gäste weckte.
Courtney dachte nicht darüber nach, wo sich Tom herumtrieb, und vergaß auch, daß sie nur Nachthemd und Schlafrock anhatte. Sie hielt die Kerze in der Hand, hatte sich die kostbare Zeitung unter den Arm geklemmt und stieg die Treppe zu den Gästezimmern hinauf.
Sie wußte genau, was sie jetzt tun würde. Sie hatte noch nie etwas so Kühnes unternommen, und deshalb dachte sie lieber nicht darüber nach. Ohne zu zögern klopfte sie an die Tür, doch sie war so vernünftig, daß sie nur leise klopfte. Sie wollte ausschließlich Chandos wecken.
Als sie zum dritten Mal klopfte, flog die Tür auf, und sie wurde grob in den Raum gerissen. Eine Hand legte sich ihr auf den Mund, und ihr Rücken wurde an Chandos' harte Brust gepreßt. Die Kerze fiel ihr aus der Hand, und als er die Tür schloß, war es stockfinster im Zimmer.
»Hat Ihnen noch niemand gesagt, daß es Ihren Tod bedeuten kann, wenn Sie jemanden mitten in der Nacht wecken? Jemand, der schlaftrunken ist, hätte sich nicht die Zeit genommen festzustellen, daß Sie eine Frau sind.«
Er ließ sie los, und Courtney hielt sich nur mit Mühe auf den Füßen.
»Entschuldigen Sie, bitte, aber ich muß mit Ihnen sprechen. Ich wollte nicht den Morgen abwarten, weil ich Angst hatte, daß ich Sie verfehlen würde. Sie verlassen doch morgen die Stadt?«
Sie verstummte, als ein Streichholz aufflammte. Er hob ihre Kerze auf, zündete sie an und stellte sie auf die kleine Kommode. Neben der Kommode lagen seine Satteltaschen und sein Sattel. Wahrscheinlich hatte er seine Sachen gar nicht erst ausgepackt, damit er jederzeit unverzüglich aufbrechen konnte.
Der Raum hatte sich verändert. Der große, handgewebte Teppich war zusammengerollt und lehnte an der Wand. Warum? Und warum war der kleine Teppich unter das Bett geschoben worden? Er hatte das Wasser und die Handtücher
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