Stürmisches Herz

Teil dazu beigetragen, der Hauptgrund für die übertriebene Schüchternheit des Mädchens aber war vor allem, daß sie ständig versuchte, die Liebe ihres Vaters wiederzugewinnen.
    Edward Harte war ein Arzt, dessen blühende Praxis in Chicago ihn so sehr in Anspruch nahm, daß er außer für seine Patienten kaum für etwas anderes Zeit fand. Er war ein hochgewachsener, eleganter Südstaatler, der sich nach seiner Heirat in Chicago niedergelassen hatte. Courtney war der Ansicht, daß kein anderer Mann so gut aussah und so sehr in seiner Arbeit aufging wie ihr Vater. Sie betete ihn an und starb jedesmal ein bißchen, wenn seine hellbraunen Augen, die sie von ihm geerbt hatte, geistesabwesend auf sie gerichtet waren.
    Er hatte vor dem Bürgerkrieg nie Zeit für Courtney gehabt, und nachher war es noch schlimmer geworden. Der Krieg hatte diesem Mann etwas Schreckliches angetan, denn er hatte schließlich aufgrund seiner humanitären Überzeugung gegen seine Heimat kämpfen müssen. Als er 1865 aus dem Krieg zurückkam, nahm er seine Praxis nicht wieder auf. Er lebte zurückgezogen, schloß sich in seinem Arbeitszimmer ein und trank, um die Toten zu vergessen, die er nicht hatte verhindern können. Das Vermögen der Hartes hatte darunter gelitten.
    Wenn Edwards ehemaliger Mentor Dr. Arnos ihm nicht geschrieben und ihn aufgefordert hätte, seine Praxis in Waco, Texas, zu übernehmen, hätte sich Courtneys Vater wahrscheinlich zu Tode getrunken. Dr. Arnos schrieb,
    daß enttäuschte Südstaatler auf der Suche nach einem neuen Leben in den Westen strömten, und Edward beschloß, es ihnen nachzumachen.
    Auch für Courtney sollte es ein neues Leben werden. Sie würde nicht mehr auf Schulen geschickt werden und fern von ihrem Vater leben. Sie würde die Möglichkeit bekommen, ihm zu zeigen, daß sie keine Last für ihn bedeutete und daß sie ihn liebte.
    Doch als ihr Zug in Missouri länger aufgehalten wurde als vorgesehen, hatte ihr Vater das Unfaßbare getan und Sarah Whitcomb, die in den letzten fünf Jahren seine Haushälterin gewesen war, geheiratet. Offenbar hatte jemand darauf hingewiesen, daß es ungehörig war, wenn eine dreißigjährige Frau zusammen mit Dr. Harte reiste.
    Edward liebte Sarah nicht, und Sarah hatte ein Auge auf Hayden Sorrel geworfen, einen der beiden Männer, die Edward als Begleiter für die gefährliche Reise nach Texas angestellt hatte. Noch am Tag der Hochzeit verwandelte sich Sarah in einen anderen Menschen. Während sie vorher überaus freundlich zu Courtney gewesen war, benahm sie sich jetzt wie eine Xanthippe – herrschsüchtig, nörglerisch, ohne Rücksicht auf die Gefühle anderer. Irgendwann hatte sich Courtney mit dieser Veränderung abgefunden und versuchte nur noch, Sarah aus dem Weg zu gehen. Das war aber nicht so einfach, wenn fünf Personen in einem einzigen Wagen durch die Prärie von Kansas reisten.
    Sie waren an diesem Morgen in Wichita aufgebrochen und zunächst dem Arkansas gefolgt, hatten aber jetzt den Fluß verlassen, um ein Anwesen oder eine Stadt zu finden, in der sie die Nacht verbringen konnten. Sobald die zweihundert Meilen lange Strecke durch das Indianerterritorium begann, mußten sie ohnehin unter freiem Himmel übernachten.
    Indianerterritorium. Schon das Wort jagte Courtney Angst ein. Aber Hayden Sorrel und der zweite Begleiter,
    der sich einfach Dallas nannte, behaupteten, daß kein Grund zur Besorgnis bestehe, solange sie Vieh mit sich führten, mit dem sie die Indianer bestechen konnten. Zudem hatte Jesse Chisholm, ein Halbblut-Irokese, eine relativ flache Route zwischen San Antonio in Texas und Wichita entdeckt, über die er bereits 1866 Waren transportiert hatte. Seither verwendeten auch die Siedler diesen Weg und nannten ihn allgemein den Chisholm-Trail.
    Joseph McCoy, ein Viehhändler aus Illinois, war in diesem Jahr für die Herden verantwortlich, die durch Kansas kamen – McCoy und die Kansas-Pacific-Railroad, die endlich auf ihrem langsamen Treck nach Westen Abilene erreicht hatten. Da der Smoky Hill River genügend Wasser für Abilene lieferte, es in der Nähe gute Weideflächen gab, und das nahe Fort Riley für Schutz sorgte, war der Chisholm Trail jetzt die ideale Route für die Herden, die in den Osten geliefert wurden.
    Die Eisenbahn hatte phänomenale Auswirkungen auf Abilene gehabt. Noch vor einem Jahr hatte die Stadt aus einem Dutzend Blockhütten bestanden. Jetzt gab es allein ein Dutzend Saloons und andere Lasterhöhlen, in denen die Cowboys