Stumme Angst (German Edition)
gemeldet.«
»Wann haben Sie das Auto denn zum letzten Mal benutzt?«
Sein Schulterzucken, er versucht sich zu erinnern, während er vor der Spüle steht und den Schwamm ausdrückt. Verdammter Wasserhahn.
»Keine Ahnung. Als ich zum letzten Mal zu meinen Eltern gefahren bin. Das war vor drei Monaten vielleicht.«
Die Stimme des jungen Kommissars. »Wo genau steht denn der Wagen?«
»Auf der gegenüberliegenden Seite. Vielleicht 30 Meter rechts runter.«
»Ich dachte, Sie wären ewig nicht mehr damit gefahren? Aber Sie wissen noch genau, wo er steht?«
Liam verdreht die Augen.
»Weil ich jeden Tag mit dem Hund rausgehe. Da kennen Sie irgendwann jedes Auto in der Straße, jedes Plakat, jedes Schaufenster auswendig.«
Der Kommissar zuckt mit den Schultern und steht auf.
»Ach, Herr Lorenz? Der Keller. Den würd ich gern mal checken.«
»Bitte«, macht Liam. »Checken Sie. Nehmen Sie sich einfach den ganzen Schlüsselbund. Hängt im Flur. Im Keller ist es die zweite Tür auf der rechten Seite.«
Liam nestelt nach einer neuen Zigarette.
»Möchten Sie auch?«
Der Hauptkommissar verneint, seiner Statur nach zu urteilen, ist er Sportler. Einer, der auch mit rund 50 Jahren noch regelmäßig laufen geht.
»Ich hoffe, der Qualm stört Sie nicht.«
»Schon in Ordnung.«
»Die Liste«, fährt er dann fort, »die haben Sie gemeinsam mit Frau Willenberg erstellt?«
»Gestern Abend, ja.«
Der Alte studiert den Ausdruck. Acht Namen von Exfreunden stehen darauf, alle identisch mit denen auf den Zeichnungen. Bis auf Balu, den Bären – sein Name ist nicht darauf zu finden.
Marie war es, die diese Namen zusammenstellte, ihnen Mail-Adressen hinzufügte, Telefonnummern, bis spät in der Nacht trug sie Informationen zusammen. Schickte sie Liam und der Polizei noch um 1 Uhr morgens per Mail zu.
Unter den Namen von Annas Exfreunden liest er die von Annas engsten Bezugspersonen, Freunden, Kommilitonen, Professoren an der Uni. Jeder konnte etwas mit ihrem Verschwinden zu tun haben, die Bullen konnten unmöglich jedem auf den Zahn fühlen. Vielleicht mit den Leuten sprechen, das ja. Aber dann? Jeder, der etwas mit ihrem Verschwinden zu tun hätte, würde sich von seiner besten Seite präsentieren. Das ist, wie eine Nadel im Heuhaufen zu suchen. Er drückt seine zweite Zigarette aus, das Zeug ist ekelhaft.
Er fragt den Hauptkommissar, wie viele vergleichbare Fälle er schon erlebt hat. Ob sie eigentlich jeden, der auf der Liste stünde, genau unter die Lupe nehmen könnten.
Nein, das könnten sie nicht. Aber wenn es keine konkreten Hinweise gäbe, würden sie eine weitere Runde drehen. Und dann noch eine. So lange, bis sie jemanden weichgeklopft hätten.
Seit 15 Jahren, sagt er, wäre er jetzt schon beim Vermisstendezernat. Genug Zeit, um zu wissen, dass die meisten vermissten Personen von alleine wieder auftauchen.
»Und wenn nicht«, schließt er, »haben in der Regel die engsten Bezugspersonen etwas mit ihrem Verschwinden zu tun. Ehemänner, Freunde.«
Liam starrt auf den Tisch. Er hat beschlossen, nicht mehr auf diese Art von Andeutungen zu reagieren. Sollen die Bullen einfach ihren Job machen. In der Spüle hört er es klacken.
Die Hundeführerin kommt mit einem Bernhardiner, Kapitän versucht, sein Revier zu verteidigen, und kläfft wie am Spieß. Lächerlicher Versuch, denkt Liam und schnappt sich den Basset, verzieht sich mit ihm aufs Gäste-WC. Hier werden sie wohl kaum nach Anna suchen.
Fast zeitgleich ruft Rebecca an, eine Freundin von Anna, die auch Medizin studiert.
»Liam«, sagt sie. »Scheiße, was ist denn los?«
Mit ihr ist es anders als mit Marie. Zu ihr hat er einen Draht.
»Hast du mit Marie gesprochen?«
»Ja. Sie hat mich eben angerufen. Stör ich?«
Vermutlich hört sie Kapitän bellen, noch immer hat er nicht aufgegeben.
»Die Bullen sind gerade da und nehmen meine Bude auseinander.«
»Was?!«
»Die haben einen Spürhund dabei.«
»Wieso denn in deiner Wohnung?«
»Was weiß ich. Wenn sie meinen.«
»Kann ich vorbeikommen?«
Etwas in ihrer Stimme trifft ihn. Er glaubt zu wissen, was es ist. Etwas, das er bei Marie noch nicht hatte wahrnehmen können. Rebecca hat Angst, so wie er.
Sein Hals schnürt sich zusammen, er schluckt. Tränen, findet er, können ganz schön bitter schmecken.
»In einer Stunde, okay? Ich glaube, die sind gleich fertig.«
Sein Blick aus dem Fenster. Die beiden Alten hocken gegenüber und starren zu ihm herüber, haben den Sexshop vergessen. Liam winkt
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