Stumme Zeugen
vorzuhaben, also müsste er mittlerweile wieder hier sein. Allmählich kotzt es mich an.«
»Sie machen sich keine Sorgen um ihn?«
Julie Rodale schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht. Er ist ein harter Bursche und hat immer seine alte Dienstwaffe dabei. Nein, deshalb mache ich mir keine Sorgen. Ich denke, er ist irgendwo mit dem Pick-up stecken geblieben, hat sich verirrt oder zu tief ins Glas geschaut. Ich versuche immer, ihm einzubläuen, dass er sein Handy mitnehmen soll, aber angeblich funktioniert es nicht an den entlegenen Orten, wo er angelt. Eine Anglerwitwe - so nenne ich mich - führt ein einsames Leben. Sehen Sie all die Fische da an der Wand?
Das ist noch gar nichts. Sie sollten mal den Keller sehen. Soll ich’s Ihnen zeigen?«
»Muss nicht sein«, sagte Villatoro. »Ich möchte Ihre Zeit nicht übermäßig in Anspruch nehmen.«
Sie lachte. »Sehe ich so aus, als wäre ich beschäftigt?«
»Dann leben Sie also seit vier Jahren hier?«, fragte Villatoro.
»Meinen Sie in diesem Haus oder in Idaho?«
»Beides.«
»Ja, seit vier Jahren. Wir sind hergezogen, als Tony sich entschieden hat, das LAPD zu verlassen und vorzeitig in den Ruhestand zu treten. Ich wäre sonstwo hingezogen nach all den Jahren, wo man sich ständig Sorgen machen musste, er könnte zusammengeschlagen oder gar erschossen werden. Es war so eine Erleichterung, verstehen Sie?«
»Meine Frau kennt das Gefühl.«
Sie schob sich die nächste Gabel Makkaroni in den Mund. »Für mich sehen Sie nicht so aus, als wären Sie hier aus der Gegend.«
Er lächelte. »Wie viele der Excops, die alle zur gleichen Zeit hierher gezogen sind. Ist Ihr Mann mit ihnen befreundet? Sie haben Newkirk erwähnt.«
Zum ersten Mal schien sie einen Moment mit ihrer Antwort zu zögern. »Warum fragen Sie nach seinen Freunden?«
»Weil ich neugierig bin. Ich habe gehört, einige von ihnen helfen dem Sheriff bei seinen Ermittlungen im Fall der verschwundenen Taylor-Kinder. Aber offensichtlich gehört Ihr Mann nicht zu den Freiwilligen.«
Sie lachte. »Glauben Sie’s mir, er wäre mit Sicherheit dabei, wenn er nicht zum Angeln gefahren wäre. Tony ist gern
mit seinen alten Kumpels von der Polizei zusammen. Eigentlich sollte man meinen, er müsste nach all den Jahren von ihnen die Nase voll haben. Weit gefehlt.«
Villatoro suchte eine bequemere Sitzposition. »Sind sie nicht gemeinsam in einer Stiftung aktiv?«
»Ja, irgendwas in der Art, ich weiß nicht viel darüber. Hin und wieder treffen sie sich, aber Tony spricht kaum darüber. Sie meinen Lieutenant Singer und Sergeant Gonzales, stimmt’s?«
»Kommt Ihr Mann gut mit ihnen aus? Sind es seine Freunde?« Villatoro hoffte, dass Rodale sich mit den anderen Excops überworfen und sich deshalb nicht mit ihnen als Freiwilliger gemeldet hatte. Wenn er Ärger mit ihnen hatte, machte ihn das vielleicht gesprächig.
»Ich denke schon«, sagte sie, ohne dass es besonders überzeugend klang.
»War er kürzlich ein bisschen sauer auf sie?«
Sie blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich würde sagen, dass er in letzter Zeit reizbar war, aber er wollte nicht sagen, aus welchem Grund. Doch wenn ich genauer darüber nachdenke, war er seit ihrem letzten Treffen vor zwei Wochen so mies drauf. Vielleicht hat es Meinungsverschiedenheiten gegeben, ich weiß es nicht. Tony redet nicht über diese Dinge.«
»Verstehe. Haben Sie bei ihnen angerufen, um zu erfahren, ob sie wissen, wo er steckt?«
»Klar, gestern. Sie wussten auch nur, dass er zum Angeln gefahren ist.«
»Aber das wussten alle? Waren sie nicht überrascht, als Sie sich erkundigten?«
Sie zögerte, die Gabel hing mitten in der Luft. »Nein, warum sollten sie überrascht gewesen sein? Sie klangen besorgt, besonders Lieutenant Singer. Er sagte, er hält es für keine gute Idee, allein angeln oder jagen zu gehen. Ich habe das mit einem ›Amen, Bruder Singer‹ quittiert. Warum fragen Sie?«
»Nur so.« Er wechselte schnell das Thema. »Ein ganz schön großes Haus haben Sie hier. Ich wette, in L. A. würde es ein paar Millionen kosten.«
»Wenn nicht mehr«, erwiderte sie grinsend. »Tony hatte Glück mit seiner Pension. Und noch mehr mit seinen Geldanlagen. Die ganzen Jahre über hatte ich keinen blassen Schimmer, dass er Aktien und sonst was kaufte. Aber dann sagte er irgendwann, er will früher in den Ruhestand gehen und hat dieses … Vermögen … auf dem Aktienmarkt gemacht. Er meinte, er will aussteigen, bevor die Blase platzt, und wir
Weitere Kostenlose Bücher