Stumme Zeugen
sein Blick auf ein in der Nähe der Tür stehendes
Regal mit Broschüren von Maklern. Er steckte ein paar ein, weil sie Karten der Gegend enthielten. Als die Gäste ihre Schlüssel bekommen hatten und sich auf die Suche nach ihren Zimmern machten, trat er an die Rezeption.
Die Empfangschefin war genervt von den drei Zeitgenossen, die sie gerade abgefertigt hatte, blies sich eine Strähne ergrauenden Haars aus dem Gesicht und seufzte laut. »Warum habe ausgerechnet ich Dienst, wenn die Jungs von der Navy ihr Veteranentreffen veranstalten?«
Er zuckte lächelnd die Achseln. Vier Gäste abzufertigen schien ihm keine übermäßig anstrengende Aufgabe zu sein.
Sie wies mit einer Kopfbewegung auf die Broschüren in seiner Hand. Villatoro vermutete, dass sie Ende vierzig war und ein hartes Leben hinter sich hatte. Auf ihren Wangen zeichnete sich ein feines Netz von Äderchen ab. Alkohol. Trotzdem, sie hatte ein anziehendes, offenes Gesicht und ein sympathisches Lächeln.
»Eine meiner Freundinnen hat letzte Woche ihr Haus verkauft, für 189 000 Dollar, und der Käufer hat es am nächsten Tag - am nächsten Tag - für eine Viertelmillion weiterverscherbelt.«
»Unglaublich«, sagte Villatoro.
»Da haben Sie verdammt recht.« Sie hatte die Karte mit seiner Reservierung gefunden. »Ich frage mich, was mein Haus wohl wert ist. Vor fünfundzwanzig Jahren hat es mich vierzig Riesen gekostet.«
Diese Leute reden, als würden sie einen von Kindesbeinen an kennen, dachte er.
»Wahrscheinlich eine Menge«, antwortete Villatoro, dem
das alles nur allzu vertraut vorkam. In Arcadia kursierte eine Unmenge von Geschichten über alteingesessene Hausbesitzer, die ihr Heim für das drei- oder vierfache der Summe, die es sie einst gekostet hatte, an Zuzügler verkauft hatten.
»Geschäfte oder Urlaub?« Er spürte den Blick der Frau auf seinem zerknitterten braunen Anzug, dem beigefarbenen Hemd, seiner olivfarbenen Haut.
»Geschäfte.«
»Was für welche?«, fragte sie freundlich.
»Unerledigte Geschäfte«, erwiderte er vage.
»Klingt interessant und rätselhaft.« Sie lachte. »Kommen Sie, mir können Sie es ruhig gestehen.«
Er spürte, wie er errötete. »Ich bin im Ruhestand.« Noch immer hatte er Probleme damit, diese Worte ohne Befangenheit auszusprechen, und er fühlte sich an die ersten Wochen nach seiner Hochzeit vor zweiunddreißig Jahren erinnert, als er immer ins Stottern geraten war, wenn er Donna als »meine Frau« vorstellen musste. Damals hatte er ein genauso merkwürdiges Gefühl gehabt wie heute, wenn er das Wort »Ruhestand« aussprach.
»Seit wann?«
»Seit zwei Tagen. Ich war Detective bei der Polizei von Arcadia, in Kalifornien.« Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, da wusste er schon nicht mehr, warum er diese Information freiwillig preisgegeben hatte.
»Sie haben eine Marke und eine Dienstwaffe?«
»Nicht mehr.« Es war ein merkwürdiges Gefühl, beides nicht mehr bei sich zu tragen, fast so, als müsste er nackt auf die Straße gehen. Nicht, dass er jemals gezwungen gewesen wäre, seine Waffe zu ziehen, außer auf dem Schießplatz.
Sie kritzelte etwas auf das Anmeldeformular. »Möchten Sie bei der gleichen Kreditkarte bleiben?«
»Ja.«
»Haben Sie schon einen Makler an der Hand? Ich könnte Ihnen ein paar gute empfehlen.«
»Entschuldigung?«
Sie blickte ihn an. »Ich nehme an, Sie suchen ein Haus oder Grundstück. Mir können Sie es ruhig sagen. Die Hälfte unserer Gäste will sich hier zur Ruhe setzen und sucht ein neues Heim. Und eines können Sie mir glauben, längst nicht alle Makler sind vertrauenswürdig. Unter ihnen sind ein paar regelrechte Gangster, und denen ist es schnuppe, ob Sie Cop sind oder waren. Außerdem sind sie an Excops gewöhnt.«
»Ich bin nicht daran interessiert, mich hier zur Ruhe zu setzen«, sagte Villatoro fast entschuldigend.
»Hm.« Es war offensichtlich, dass sie nicht sicher war, ob sie ihm Glauben schenken sollte. »Sie sind interessiert, Sie Geheimnistuer.«
»Das hat noch nie jemand zu mir gesagt.«
»Sie scheinen ein netter Kerl zu sein. Wie wär’s, wenn ich Ihnen ein Angebot mache?«, fragte sie fast flüsternd. »Ich räume Ihnen unseren Vorzugspreis ein, Sie sparen zwanzig Dollar pro Nacht.«
Er wollte ablehnen, doch bei sechs Übernachtungen sparte er eine hübsche Summe. »Vielen Dank«, sagte er.
»Kein Problem, Mr Villatoro.«
Sie sprach es »Villa-toro« aus.
In seinem Zimmer im Erdgeschoss angekommen, zog Villatoro die Vorhänge
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