Stumme Zeugen
Bisher wissen wir das nicht, und wir können nicht vorzeitig alle Welt in Panik versetzen.«
»Vorzeitig?«, fragte sie erstaunt.
»Noch sind es keine vierundzwanzig Stunden, Miss Taylor, und bis dahin gilt eine Person bei uns nicht als vermisst. Journalisten scheren sich natürlich nicht darum. Bisher versuche ich sie hinzuhalten, aber sie geben keine Ruhe. Glücklicherweise habe ich aber noch einen Trumpf im Ärmel.«
»Wovon reden Sie?«
Jetzt grinste er tatsächlich. »Vier erfahrene und mit allen Wassern gewaschene Ermittlungsbeamte haben freiwillig angeboten, uns zu helfen. Sie haben sich heute Morgen gemeldet und gefragt, was sie für uns tun könnten. Nachdem ich mit ihnen gesprochen hatte, habe ich ihnen die Erlaubnis gegeben, sich an die Arbeit zu machen, und es beginnt sich schon auszuzahlen.«
Sie war verwirrt. »Wer sind sie?«
»Die Crème de la Crème vom Los Angeles Police Department«, antwortete Carey. »Pensionierte Cops, die Dutzende solcher Fälle bearbeitet haben. Sie haben gesagt, sie wollten sich an ihrem neuen Wohnort nützlich machen und dafür sorgen, dass die Menschen hier sicher leben können. Innerhalb von zwei Stunden hatten wir gemeinsam eine Einsatzzentrale eingerichtet, und sie sind auf die Geschichte mit Tom Boyd gekommen. Wir sind verdammt froh, sie an unserer Seite zu haben, Miss Taylor.«
Sie nickte. Zum ersten Mal seit vierzehn Stunden war sie ein bisschen optimistischer.
Er blickte sich um. »Sicher möchten Sie in der Nähe des
Telefons bleiben, und das ist auch richtig. Meiner Ansicht nach könnten Sie hier Hilfe gebrauchen. Gibt es jemanden, den wir anrufen können, damit er bei Ihnen bleibt?«
Sie hatte keine Verwandten in der Nähe und nur wenige Freunde. Sandy war mit ihrem Mann und ihren Kindern auf Kreuzfahrt. Sie dachte an Jim Hearne, den Bankdirektor, der immer so bemüht um sie gewesen war, doch ihr war bewusst, dass es komisch gewirkt hätte, wenn sie sich ausgerechnet in dieser Situation an ihn wenden würde.
»Diese Fiona Pritzle bietet mir ständig an, bei mir zu bleiben«, sagte sie. »Aber ich glaube nicht, dass ich ihre Hilfe annehmen möchte.«
Carey war ihrer Meinung. »Wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich einen der Excops bitten, nach Ihnen zu sehen. Wir müssen überall einen Mann haben. Wenn jemand zu Ihnen Kontakt aufnimmt, um etwas über Annie und William zu berichten, möchten wir das sofort mitbekommen. Falls jemand Ihre Kinder in seiner Gewalt hat …«
»Ich habe nichts dagegen, dass jemand kommt.«
»Der Mann heißt Swann und war mal Sergeant bei der Polizei.«
»Ich kenne ihn«, sagte sie teilnahmslos.
»Ich weiß, er hat es mir erzählt. Er wollte, dass ich Sie frage, ob Sie etwas dagegen haben.«
Sie dachte an Swanns offenes Gesicht, seine gütige Art, die sonore Stimme. Und doch, bei ihm war alles so festgefahren. Stets hatte sie das Gefühl, von einem Cop beobachtet zu werden. Er schaute sie nicht auf die Weise an, wie ein Mann es normalerweise bei einer Frau tat.
»Einverstanden«, sagte sie. »Er ist in Ordnung. So gut organisiert.
Wahrscheinlich wird er mir in jeder Hinsicht helfen können.«
Der Sheriff streckte die Hand aus.
»Wir geben unser Bestes, um Ihre Kinder zu finden, Miss Taylor. Ich werde Mr Swann bitten, Ihnen etwas zu essen zu bringen. Und den Arzt, noch einmal vorbeizuschauen.«
Samstag, 10.14 Uhr
»Tut mir leid, dass Sie warten mussten«, sagte Jim Hearne zu Eduardo Villatoro, als er sich hinter seinen Schreibtisch setzte. »Das war ein Rancher aus der Gegend, ein Freund. Ein anständiger Mann.«
Villatoro nahm auf dem Stuhl Platz, auf dem gerade noch der Rancher gesessen hatte, und legte seine Aktentasche auf die Knie. Er beobachtete, wie Hearne eine dicke Akte, die mit »Rawlins« beschriftet war, auf ein Sideboard hinter sich stellte. Dann zog er eine Visitenkarte aus der Innentasche seines Jacketts und reichte sie Hearne.
Der warf einen Blick darauf, und ein kurzes Flackern in seinen klaren blauen Augen deutete darauf hin, dass er sich erinnerte. »Genau, Detective Villatoro vom Arcadia Police Department in Kalifornien, jetzt fällt es mir wieder ein. Sie haben vor ein paar Wochen angerufen und mich um einen Termin gebeten. Und jetzt sind Sie den ganzen Weg aus dem Süden Kaliforniens hergekommen.«
»Danke, dass Sie mir Ihre Zeit schenken. Mittlerweile bin ich im Ruhestand.«
»Glückwunsch.« Hearnes Miene verriet, was er dachte. Da das Treffen nicht dienstlicher, sondern bloß privater
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