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Stumme Zeugen

Titel: Stumme Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
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Rechte.«
    Was für Rechte?, fragte sich Jess. Wieder erinnerte er sich an die Zeit, als sein Sohn vom College zurückgekehrt war. Auch Jess junior hatte geglaubt, alle möglichen Rechte zu haben.
    Er wartete mit vor der Brust verschränkten Armen auf der Veranda. Eigentlich hatte er keine Lust, die beiden gewaltsam aus dem Lokal herauszuholen. Sie diskutierten weiter, und er hörte eines der Mädchen sagen, die Jungs sollten sitzen bleiben, ein greiser Hinterwäldler habe kein Recht, sie herumzukommandieren.
    Schließlich tauchten sie doch auf, der Rotschopf zuerst, mit einem halb leeren Bierglas in der Hand, dicht gefolgt von seinem schwarzen Freund, dessen Miene unergründlich war.
    »Wo liegt das Problem, Mann?«, fragte der Rothaarige. »Wir wollen nur in Ruhe essen und etwas von der Provinzatmosphäre aufsaugen.«
    Jess wusste nicht, wo er beginnen sollte. Er fühlte Hass in sich aufsteigen und spürte, dass er kurz davor stand, gewalttätig zu werden.
    Trotzdem zwang er sich, leise zu sprechen. »Ihr habt über zwei vermisste Kinder Witze gerissen«, sagte er. »Das ist in dieser Situation völlig unangemessen. Ich muss euch bitten zu verschwinden.«

    Der Rothaarige blickte seinen Kumpel an und sprach über Jess, als würde der nicht direkt vor ihm stehen. »Was ist los mit dem Opa, Mann? Er hat kein Recht, uns herumzuschubsen, als wäre er hier der Chef … Wir sind zahlende Gäste.«
    Der Schwarze nickte, die ganze Zeit Jess fixierend. In seinem Blick lag ein Anflug von Unsicherheit, wovon bei dem Rothaarigen nicht die Rede sein konnte.
    »Als sie euch auf der Uni erzählt haben, wie viele Rechte ihr habt, haben sie offenbar vergessen, euch Benehmen und Respekt vor anderen beizubringen«, sagte Jess. »Was ihr da eben über die beiden verschwundenen Kinder gesagt habt, ist weder intelligent noch lustig. Es kotzt mich an, denn ich komme von hier.«
    Der Rotschopf blickte Jess an, als wäre er verletzt. »Mann …«
    Jess’ Tonfall wurde härter. »Ich bin dreiundsechzig, dreimal so alt wie ihr. Und ihr seid zu zweit. Aber wenn ihr nicht sofort eure Mädchen holt und Gas gebt, sofort, prügle ich euch windelweich.«
    Die beiden standen wie angewurzelt da und starrten ihn an. Jess gab sich keinen Illusionen hin - wenn die beiden sich auf ihn stürzten, war alles schnell vorbei, und er würde den Kürzeren ziehen. Aber er war in der Stimmung, es darauf ankommen zu lassen.
    »Wir wollten nicht …«, begann der Rothaarige.
    »Sofort!«, stieß Jess zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
    Der Schwarze blies zuerst zum Rückzug. »Ach, scheiß drauf«, sagte er, den Rotschopf am Arm packend. »Lass uns gehen, Jarrod.«

    »Wir können den Opa auseinandernehmen«, entgegnete Jarrod. »Er kann uns hier nicht rauswerfen. Das ist ein öffentlicher Ort.«
    »Vergiss es, Mann. Er ist es nicht wert.«
    Jess reagierte nicht. Er konnte ihnen ruhig in ihrer Feigheit ein bisschen falsche Würde zugestehen.
    Er stand an der Seite der Veranda und beobachtete, wie sie das Lokal verließen und ihn noch einmal mit wütenden Blicken bedachten. Die Blondine wirkte zumindest ein bisschen beschämt, über sich selbst und die anderen. Bei der Brünetten war das anders. Ihre Miene spiegelte nichts als selbstgerechte Empörung. Als sie in ihr Fahrzeug stiegen, hörte Jess noch die Worte weißer Abschaum. Sie verließen den Parkplatz, und als der Geländewagen auf die Straße einbog, rief der Rothaarige ihm noch etwas Unverständliches zu und zeigte ihm den Stinkefinger.
    Sein Essen war kalt geworden, aber er aß auf, während die Eigentümerin den Tisch abräumte. Ein paar Augenblicke später verstummte die Jukebox, und man hörte nur noch das Ticken der Uhr und das Klirren der leeren Gläser.
    Er zeigte auf den Aushang. »Über so was wird heute im Fernsehen so oft berichtet, dass sie es wahrscheinlich gar nicht mehr für real halten.«
    »Sie haben nicht mal Trinkgeld gegeben«, sagte die Eigentümerin, als sie Gläser und Teller hinter der Bar abstellte.
     
    Jess hielt an seinem Briefkasten, nahm die Post heraus und warf sie auf den Beifahrersitz. Auf einen Umschlag mit dem Absender der Steuerbehörde hatte Fiona einen kleinen Zettel mit den Worten »Bitte öffnen!!!« geklebt.

    Nachdem er Arbeitskleidung angezogen und den neuen Stetson gegen einen alten Hut mit fleckigem Schweißband ausgetauscht hatte, steckte er eine Kneifzange ein, sattelte Chile und ritt einen Schieferabhang hoch. Von der Bergkuppe aus hatte man einen

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