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Stumme Zeugen

Titel: Stumme Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
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hätte er sich auf sie verlassen können. Aber er war allein zurückgeblieben. Sie waren alle tot oder lebten in Arizona.
    Als er die Nummer wählte, stand auf einmal Annie neben ihm und drückte mit einer schmutzigen Hand auf die Gabel des Telefons. Der Wählton verstummte.
    Er blickte sie irritiert an.
    »Mister«, sagte sie, »gehört Mr Swann auch zu ihnen? Zu den ehemaligen Polizisten, meine ich.«
    »Ich kenne ihn nicht«, antwortete Jess. »Könnte sein.«
    »Sag’s ihm, Annie«, rief William vom Küchentisch her.
    »Was sollst du mir sagen?«
    »Sie wissen nicht, was wir gesehen haben«, antwortete sie. »Wir waren Augenzeugen, als ein paar Männer einen anderen Mann ermordet haben. Unten am Fluss. Wir haben ihre Gesichter gesehen, und sie haben uns gesehen.«
    Jess schaute sie mit einem harten Blick an.
    Während sie redete - und die Worte, ab und zu von William bekräftigt, sprudelten nur so aus ihr heraus -, nahm
sie die Hand nicht von der Gabel des Telefons. Jess stand da, den Hörer in der Hand, und lauschte ihrer Geschichte. Ein kaltblütiger Mord, anschließend eine Verfolgungsjagd, eine brenzlige Situation bei einem Mr Swann, die größten Schweine, die man sich vorstellen kann, eine Flucht durch den finsteren, nassen Wald bis zu seiner Scheune.
    Jess hatte seine Zweifel. »Aber, Annie«, sagte er sanft, »ich habe nichts davon gehört, dass ein Mann erschossen worden ist. So etwas passiert in unserer Gegend nicht. Falls doch, hätte ich es mit Sicherheit mitbekommen.«
    Annie schüttelte energisch den Kopf. »Wir haben es gesehen, William und ich. Wir waren Zeugen, als sie wieder und wieder abgedrückt haben. Dann haben sie uns bemerkt und uns verfolgt. Und auf uns geschossen!«
    »Aber woher willst du wissen, dass Mr Swann euch auch etwas antun wollte?«
    »Ich habe ihn belauscht, als er telefoniert hat. Das habe ich doch schon gesagt.«
    »Aber du weißt nicht, mit wem er geredet hat. Vielleicht hast du dir eingebildet, er würde über eine Sache reden, während er tatsächlich von einer ganz anderen sprach. Warum sollten diese Männer euch etwas antun wollen?«
    Während er sprach, musste er erneut an den Anflug von Härte in ihrem Blick denken, daran, dass sie schon in jungen Jahren so vorsichtig und misstrauisch war. Es war traurig. Kinder bekamen heutzutage so früh so viel mit …
    »Und was ist, wenn Sie den Sheriff anrufen und diese Männer uns wieder suchen? Sie wissen, dass wir sie identifizieren können.« Ihr Augen wurden feucht. »Was werden Sie tun, wenn das passiert?«

    Er wollte sagen, er werde persönlich mit dem Sheriff reden, ihm die Gründe für ihre Ängste verdeutlichen, die Dinge klären. Aber ihre Miene verriet so viel Verzweiflung und Angst, dass er lieber den Mund hielt. Sie war hundertprozentig davon überzeugt, was geschehen war und was sie gesehen hatte. Aber ein Mord im Pend Oreille County hätte sich sofort herumgesprochen. Fiona Pritzle hätte ihn wie ein Jagdhund verfolgt, nur um die Erste zu sein, die ihm die Neuigkeit überbrachte, aber er hatte sie nicht gesehen. Suchtrupps hatten sich gründlich am Ufer des Flusses umgesehen, und eine Leiche auf einem öffentlichen Campingplatz wäre ihnen bestimmt nicht entgangen. Außerdem hätte jemand eine Vermisstenanzeige aufgegeben, wenn ein Mann spurlos verschwunden wäre. Das Ganze ergab keinen Sinn, und er wusste nicht, was er tun sollte. Vielleicht mit dem Anruf warten, bis die völlig erschöpften Kinder nach dem Essen ins Bett gegangen waren und schliefen?
    Aber würde er sich dann nicht genau wie Swann verhalten, falls Annies Geschichte stimmte? Hatte der sie nicht auf diese Weise betrogen? Er wollte sie nicht weiter verängstigen, ihnen keinen Grund geben, erneut davonzulaufen. Er wollte ihnen beweisen, dass es auch Menschen gab, denen man vertrauen konnte. Bei ihm hatten sie nichts zu befürchten.
    »Eure Geschichte klingt ziemlich glaubwürdig«, sagte er schließlich. »Aber wir können nicht so tun, als würdet ihr jetzt hier leben. Ihr müsst zu eurer Mutter zurückkehren. Vielleicht müsst ihr sogar zum Arzt, damit er untersucht, ob alles in Ordnung ist.«
    »Uns geht’s gut«, sagte Annie. »Wir werden in der Scheune
leben, wenn’s sein muss. In der Höhle, die wir uns gebaut haben.«
    »Fort«, verbesserte William.
    »Das könnt ihr euch aus dem Kopf schlagen«, sagte Jess stirnrunzelnd.
    Eine Minute verstrich. Annies Hand lag weiterhin auf der Gabel.
    »Wie wär’s, wenn ich eure Mutter anrufe?«,

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