Stumme Zeugen
und wenn er davon erzählte, wie sie meinen Großvater behandelten, begann er zu weinen. Mein alter Herr und meine Mutter arbeiteten auf den Feldern im San Josquin Valley und unterstützten mich, damit ich eine anständige Ausbildung bekam. Auch sie haben nie ein Wort Englisch gesprochen, aber darauf geachtet, dass ich die Sprache lernte. Und hier bin ich, Newkirk. Sieh mich an.«
Newkirk wagte nicht, den Blick abzuwenden oder zu blinzeln.
»Schau dir an, wo ich lebe und was ich besitze. Ich habe mehr Geld als alle Leute aus dem Dorf meines Großvaters zusammen und kann für die Menschen sorgen, die für mich gesorgt haben. Das ist mein gottverdammter amerikanischer Traum, und du wirst ihn nicht platzen lassen, kapiert? Jetzt bin ich hier, für mich gibt’s kein Zurück. Verstanden?«
»Ja.«
»Das will ich hoffen. Du weißt, was Rodale zugestoßen ist, als er unsere Abmachung vergessen hat.«
Newkirk nickte.
»Also, bist du dabei?«, fragte Singer.
Alles hing von seiner Antwort ab …
»Ich bin dabei.«
In diesem Moment erinnerte sich Newkirk an die Visitenkarte in seiner Gesäßtasche.
»Arcadia Police Department«, sagte Singer mit einem Blick auf die Karte. »Eduardo Villatoro, Detective. Darunter hat er von Hand ›im Ruhestand‹ geschrieben. Kommt also praktisch aus unserem alten Revier.«
»Kennst du ihn?«, fragte Gonzales.
»Ich habe von ihm gehört, bin einem persönlichen Treffen aber stets ausgewichen. Er ist eine penetrante Nervensäge und tauchte ständig bei uns auf, um Fragen zu stellen. Dieser Villatoro will mit dem Kopf durch die Wand. Es ist ihm egal, ob er ihn sich stößt.«
»Das könnte schlimme Folgen haben«, bemerkte Newkirk.
Singer schüttelte den Kopf.
»Was, wenn er hier ist, weil … Ihr wisst schon.«
»Dann werden wir uns um ihn kümmern«, sagte Singer ruhig.
»Eduardo Villatoro.« Gonzales sprach den Namen mit spanischer Betonung aus, mit rollendem »r«, genau wie Villatoro selbst.
Singer gab Newkirk die Karte zurück. »Ein Excop aus einer Kleinstadt.«
»Vielleicht will er sich hier zur Ruhe setzen«, mutmaßte Gonzales. »Wahrscheinlich haben ihn all die großen Fälle zermürbt, mit denen er sich herumschlagen musste. Kätzchen aus Bäumen holen und ähnlicher Scheiß. Sein Auftauchen hat nichts zu bedeuten. Bloß keine Paranoia. Zuerst müssen wir die beiden Kinder finden.«
Etwas knallte gegen die Tür, und die drei Excops blickten sich an. Singer gab Newkirk ein Zeichen, der Sache auf den Grund zu gehen.
Newkirk schlich auf leisen Sohlen zur Tür und riss sie abrupt auf.
Vor der Tür stand ein Mann von der Putzkolonne, der den Schrubber zurückzog, mit dem er gerade an die Tür gestoßen war. Der Linoleumboden war nass. Der Mann war zusammengezuckt, als Newkirk die Tür aufgerissen hatte, und trat jetzt instinktiv einen Schritt zurück. Er schien Mitte dreißig zu sein und normalerweise im Knast zu sitzen, denn er trug den orangefarbenen Häftlings-Overall. Sein strähniges braunes Haar war schulterlang, und seine beunruhigten Augen wanderten zwischen Newkirk, Gonzales und Singer hin und her.
»Was haben Sie hier zu suchen?«, fragte Gonzales mit vor der Brust verschränkten Armen, wodurch sie noch muskulöser als sonst wirkten.
»Ich putze.«
»Haben Sie irgendwas gehört?«, fragte Singer leutselig. »Wie heißen Sie?«
»J. J.«
»Haben Sie was gehört, J. J.?«
J. J. blickte Hilfe suchend Newkirk an und ließ dann den Kopf hängen, sodass ihm die Haare ins Gesicht fielen. »Ich mache nur sauber und habe nichts gehört. Ich wusste nicht mal, dass außer mir noch jemand hier ist.«
»Nicht, dass es etwas zu hören gegeben hätte«, sagte Singer. »Wir helfen bei den Ermittlungen im Fall der beiden vermissten Kinder.«
Der Mann nickte, und sein Haar tanzte auf und ab.
»Nichts für ungut«, sagte Singer, und Newkirk schloss die Tür.
»Ihr leidet wirklich an Verfolgungswahn«, sagte Gonzales grinsend. »Wir haben alles so gut wie möglich unter Kontrolle. Und den Sheriff in der Tasche.«
Newkirk bekam nie genug davon, in seinem Auto über die lange, asphaltierte Zufahrtsstraße zu fahren und schließlich sein Haus zwischen den Bäumen auftauchen zu sehen. Es war eine Villa, seine Villa, und es war ihm egal, dass der neokoloniale Stil nicht zu den Holzhäusern passte, die man hier sonst überall sah. Noch lieber als bei Tage sah er es nachts. Bezogen hatten er und seine Familie das Haus vor dreieinhalb Jahren, und er konnte sein
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