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Stumme Zeugen

Titel: Stumme Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
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deine Mutter die Anrufe entgegen.«
    »Glauben Sie uns jetzt?«, fragte sie in einem herausfordernden Tonfall.
    Ich weiß nicht, was ich glauben soll, dachte er, ohne seinen Gedanken auszusprechen. Stattdessen sagte er: »Ich muss darüber nachdenken.«
    »Geht es meiner Mutter gut?«, fragte William.
    »Ich weiß es nicht, weil ich nicht mit ihr gesprochen habe.«
    Annie wandte sich ihrem Bruder mit einer aufmunternden Miene zu. »Im Augenblick können wir nicht mit ihr reden, William. Es könnte böse enden.«
    Böse enden, dachte Jess. Kindersprache. Als ginge es um Kleinkram.
    William rollte die Augen. »Ich weiß«, murmelte er.
    Jess hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Er versuchte nachzudenken, die Teile des Puzzles zusammenzusetzen.
Swann konnte durchaus sein, was er zu sein vorgab, ein pensionierter Polizist aus der Großstadt, der einer leidgeprüften Mutter beistand und einem unfähigen Sheriff half (obwohl er nichts davon gesagt hatte). Möglicherweise sah er das, was laut Annie in seinem Haus passiert war, aus einer völlig anderen Perspektive. Eventuell war er um die Sicherheit der Kinder besorgt gewesen und hatte erst mit Bekannten telefonieren wollen, bevor er den Sheriff anrief, und Annie hatte seine Worte falsch interpretiert. Vielleicht war er, Jess, auf die Wahnvorstellung eines Kindes hereingefallen, statt sich wie ein klar denkender Erwachsener zu verhalten und die zuständigen Stellen zu informieren, dass die Kinder bei ihm waren. Dann hätte das ganze County erleichtert aufatmen können, ganz zu schweigen von der Mutter der beiden. Er war froh, seinen Namen nicht genannt zu haben.
    Und falls es wirklich einen Mord gegeben hat, dachte er, wäre es dann nicht denkbar, dass der Sheriff angesichts der Stimmung der letzten beiden Tage die Sache unter Verschluss hält? Wenn auch nur aus dem Grund, damit eine nervöse Stadt nicht völlig in Panik gerät? Oder erschien es nicht als noch plausibler, dass Annie und William glaubten, ein Ereignis gesehen zu haben, das tatsächlich gar nicht stattgefunden hatte, und sich ihrer lebhaften kindlichen Fantasie überlassen hatten?
    Er war sich nicht sicher, was er tun sollte. Was hätte er getan, wenn die Kinder in seiner Küche seine eigenen gewesen wären?
    »Ihr beide geht jetzt ins Bad und wascht euch«, sagte er schließlich. »In dem Wandschrank am Ende des Flurs sind Handtücher, und in dem hinteren Schlafzimmer stehen ein
paar Kartons mit alten Klamotten von meinem Sohn. Vielleicht findest du sogar ein paar Schuhe, die dir passen, Annie. Ich mache das Essen, während ihr euch wascht, und dann überlegen wir gemeinsam, wie es weitergeht.«
    Er sprach mit der Autorität eines Erwachsenen und war fast überrascht, als die beiden nickten und im Korridor verschwanden.
    Steaks waren immer in der Tiefkühltruhe, und er taute ein paar in der Mikrowelle auf. Eier waren auch da. Es war über zehn Jahre her, seit er zuletzt Pfannkuchen gemacht hatte, aber er hatte nicht vergessen, wie es ging.
    Er hörte, wie die Dusche angestellt wurde, dann folgte ein kurzer Streit, wer als Erster an der Reihe war. Annie behielt die Oberhand, wie erwartet.
     
    Nach dem Essen spülte und trocknete er die Teller ab, noch immer erstaunt, wie viel die Kinder gegessen und wie gut es ihnen geschmeckt hatte. Er hatte nur dabeigesessen und beobachtet, wie sie begeistert zulangten. Einmal hatte William von seinem Teller aufgeblickt und gesagt: »Echt, kochen können Sie, Mister.«
    »Schade nur, dass ich keine anderen Gerichte kochen kann«, hatte er lächelnd geantwortet.
    William hatte nur die Achseln gezuckt und sich wieder über sein Essen hergemacht.
    Jetzt, während er die Teller in das Abtropfregal stellte, sagte er: »Ihr müsst halb verhungert gewesen sein.« Als keine Antwort kam, drehte er sich um und stellte fest, dass die beiden auf ihrem Stuhl eingeschlafen waren. Annie war nach vorn auf den Tisch gesackt, den Kopf auf den Armen.
William saß da, als wäre er erschossen worden - die Hände hingen schlaff an den Seiten herab, den Kopf hatte er in den Nacken geworfen, sein Mund stand offen.
    Jess trug sie nacheinander ins Gästezimmer, das früher das Zimmer seines Sohnes gewesen war. Wie klein sie sind, wie zerbrechlich, dachte er. Aber er hatte vergessen, wie schwer ein tief schlafendes Kind sein konnte. Kälber, die doppelt so viel wogen, konnte man leichter hochheben und tragen. Die Bettwäsche war wahrscheinlich seit Jahren nicht gewechselt worden, aber er

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