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Stumme Zeugen

Titel: Stumme Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
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aufsaugte und so veränderte, dass man sie nicht wiedererkannte. Er sah, wie sich seine Kollegen und Nachbarn dem Wandel anpassten und ihre Verantwortung gegenüber ihren Nächsten und der Gemeinschaft nicht mehr ernst nahmen. Die gefräßige Großstadt verschlang alles, und Arcadia war nicht mehr das kleine, in der Sonne brütende Nest, das es einst gewesen war, sondern nur noch eine weitere eingemeindete Vorstadt.
    Trotz seines bescheidenen Wesens war Villatoro ein stolzer Mann. Ihm fiel auf, wie die Cops aus L. A. sich anblickten, wenn er sprach, und er war tief getroffen, als sie seinen Vorschlag ablehnten, die Spur der registrierten Geldscheine zu verfolgen. Nachdem die zweite Banknote nach Idaho zurückverfolgt werden konnte, hatte einer der Detectives zu ihm gesagt: »Haben Sie eigentlich eine Ahnung, mit wie vielen Fällen ich mich herumschlagen muss? Sehen Sie die Dinge endlich realistisch.«
    Er musste daran denken, was er eben zu seiner Frau gesagt hatte. Es stimmte nicht, dass er noch nicht so weit war, dass er sich nicht auf den Ruhestand gefreut hätte. Er sah dieser Zeit erwartungsvoll entgegen. Aber der ungelöste Mordfall lag ihm schwer im Magen. Er musste immer daran denken und hatte Donna das auch erzählt.

    Da waren die Witwe des Mordopfers und ihre Kinder. Außer ihm war niemand auf die Idee gekommen, die Frau zu besuchen, weder die Ankläger noch die Zeugen oder die Detectives aus Los Angeles. Sie hatte ein Recht darauf, dass der Mörder ihres Mannes verurteilt wurde, und nur er konnte ihn finden.
    Er sagte seiner Frau, dass er sie liebe, und wünschte ihr eine gute Nacht.
     
    Er lehnte sich gegen die Wand am Kopfende des Bettes. Der Fernseher lief noch, aber er hatte den Ton abgestellt. In Gedanken war er bei seinem letzten Besuch auf der Rennbahn in Santa Anita.
    Seit dem Raubüberfall war er jedes Jahr dort gewesen, selbst nachdem die Detectives aus L. A. längst aufgehört hatten, so zu tun, als würden sie sich noch aktiv mit dem Fall beschäftigen. Für seine Besuche wählte er Tage, an denen keine Rennen stattfanden. Dann lag die alte, stilvolle Anlage verlassen da. Zuletzt war er vor einer Woche dort gewesen, an einem für die Jahreszeit ungewöhnlich heißen Tag, vierunddreißig Grad im April.
    Als er seinen Wagen auf dem riesigen, verwaisten Parkplatz abgestellt hatte, standen bereits Schweißperlen auf seiner Oberlippe. Er ging über den heißen Asphalt auf die Rennbahn zu. Alles flimmerte in der Hitze, die Palmen und die nahen Hügel. Er liebte diesen Ort und seine Atmosphäre schon, seit er dort im Sommer des Jahres 1989 mit seiner Tochter die ersten Rennen gesehen hatte. Es war eine Atmosphäre altmodischer Eleganz, die eines Los Angeles aus den Fünfzigerjahren, als die Stadt vor Energie, Stolz und
Geld aus allen Nähten geplatzt war. Ihm schien, als wäre dies eine zivilisiertere, menschlichere Zeit gewesen. Die großen Themen waren damals die Wasserversorgung und breitere Straßen, und Arcadia war eine verschlafene Kleinstadt mit vielen Bäumen gewesen, wie Kootenai Bay heute.
    Wie bei jedem Besuch hatte er auch diesmal ein nicht abgeschlossenes Tor gefunden. Fast schien es, als würde das Personal extra für ihn eines offen stehen lassen. Er ging über den rot gepflasterten Weg, zu beiden Seiten gesäumt von tadellos gepflegten Rasenflächen mit Zelten und Tischen für die Besucher, und schaute auf die Statuen, die dem berühmten Pferd Seabiscuit und legendären Jockeys gewidmet waren, und auf das Denkmal für George Woolf. Alles ähnelte eher einem Park als einer Rennbahn, und auch das gefiel ihm. Er fand die Atmosphäre beruhigend. In den blühenden Bäumen sangen Vögel, man hatte fast das Gefühl, in den Tropen zu sein.
    Da die Stromversorgung des Aufzugs abgeschaltet war, musste er die Treppe nehmen und kam schwitzend oben an. Er ging durch das Front-Runner-Restaurant mit seinen weiß gedeckten Tischen und den silbernen Bestecken, dann weiter zum Turf Club, von wo aus man einen Blick über die ganze Anlage hatte. Vor ihm lag die ovale Rennbahn, der grüne Rasen in der Mitte blendete seine Augen. Es war irgendwie unheimlich, weder einen Menschen noch ein Pferd zu sehen.
    Und wieder einmal beschäftigten ihn die Ereignisse jenes Maitages vor acht Jahren.
    Das Bargeld war von einem Dutzend Angestellten in einem fensterlosen Büro unter der Tribüne gezählt worden.
Draußen warteten zwei gepanzerte Geldtransporter an einer für Lieferanten vorgesehenen Straße, die an

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