Stumme Zeugen
und eine Zeit lang genutzt hatte. Newkirk war mehrfach dort gewesen. Die Justice Ranch war eine letzte Zuflucht, wo Informationen aus dem Abschaum herausgequetscht wurden, wenn alle legalen Möglichkeiten ausgeschöpft oder blockiert waren. Es ging nicht um Geständnisse, die vor Gericht verwendet werden sollten, weil weder die Cops noch
die Opfer vor Gericht gehen wollten. Das Haus war eine Folterkammer, wo Gonzales gleich mehrfach das »Verbrecherlächeln« angewandt hatte. Newkirk lernte es kennen, als ein Richter einen Kinderschänder wegen eines Verfahrensfehlers auf freien Fuß setzte. Drei Tage später war der nächste kleine Junge verschwunden. Der Kinderschänder wurde in einen unauffälligen Wagen gezerrt und zur Justice Ranch gebracht, wo bereits Gonzo mit seinem Werkzeugkasten auf ihn wartete. Niemand hatte je wieder etwas von dem Kinderschänder gehört. Irgendwann war dann das FBI eingeschritten und hatte dem Spuk mit der Justice Ranch ein Ende gemacht.
Aber das war etwas anderes, dachte Newkirk. Er war sich immer sicher gewesen, dass die Verdächtigen, die in dieses Haus gebracht wurden, tatsächlich schuldig waren, selbst wenn den Cops für eine Verurteilung vor Gericht die nötigen Beweise fehlten. Auch wenn sie in einem speziellen Fall unschuldig waren, hatten sie doch andere Delikte auf dem Kerbholz. Daran konnte kein Zweifel bestehen. Dies jedoch war eine vollkommen andere Geschichte. Tom Boyd war nur ein Muskelprotz aus der Provinz. Newkirk fühlte sich furchtbar.
»Hör zu, ich will offen mit dir reden«, sagte Gonzales. »Irgendwie glaube ich dir ja, dass du nicht weißt, wo die Kids sind. Aber eben nur irgendwie. Hundertprozentig überzeugt bin ich nicht. Und wenn ich nicht bei hundert Prozent bin, geht’s mir nicht gut.«
Boyd bettelte und heulte zugleich, und Newkirk versuchte, es zu ignorieren. Er wiederholte immer wieder die gleichen Dinge, bot an, jede Summe zu zahlen, alles zu tun.
»Alles?«, fragte Gonzales. »Würdest du dir beispielsweise den eigenen Schwanz abbeißen?«
Newkirk zuckte zusammen.
»Fast alles«, krächzte Boyd.
»Ah, das hört sich schon anders an. Wie gesagt, bei mir muss immer alles hundertprozentig stimmen. Da spielst du nicht richtig mit.«
Boyd stöhnte und warf den Kopf hin und her. »Was wollen Sie von mir? Scheiße, was wollen Sie?«
Gonzales stand auf und durchstöberte den Werkzeugkasten. Dann zog er eine Zange mit sehr spitzen Enden heraus. »Ich brauche hundertprozentige Kooperationsbereitschaft.«
»Wofür?«
Gonzales blickte zu Singer hinüber. Der hob die Augenbrauen, als wollte er sagen: Jetzt wird’s unangenehm.
»Ich möchte, dass du gestehst.«
»Was?«
»Ich möchte ein Geständnis, dass du die beiden Kinder verschleppt und umgebracht hast, weil du sauer auf ihre Mutter warst und weil die Steroide dir das Gehirn vernebelt haben.«
Boyd stöhnte erneut, dann ging das Stöhnen in ein Schluchzen über.
»Du kannst ja sagen, es sei ein Versehen gewesen. Dass du gar nicht vorhattest, ihnen ein Haar zu krümmen. Du hattest einfach einen Blackout, und als du wieder zu dir kamst, waren sie tot.«
»Ich kann doch nicht …«
»O doch, du kannst, Mr UPS.«
»Und wenn ich es gesagt habe, bringen Sie mich um.«
Gonzales schüttelte den Kopf. »Nein. Falls du gestehst, wird es nicht so weit kommen. Gestehst du nicht, bist du mit Sicherheit geliefert. Wenn du mitspielst, Mr UPS, verfrachte ich dich in ein Auto, und du wirst nach Las Vegas gebracht, wo du ein anderes Leben beginnen kannst. Das ist doch die richtige Stadt für einen neuen Start. Las Vegas, wo Träume wahr werden. Mehr hast du von mir nicht zu erwarten, weder Geld noch eine neue Identität. Du bist auf dich allein gestellt. Aber ein Typ wie du, mit all diesen Muskeln, müsste doch eigentlich in der Lage sein, ziemlich schnell einen Job zu finden. Da unten mögen sie Muskelprotze. Dicke Muskeln und ein Spatzenhirn sind genau das, was in Vegas ankommt. Rückkehr ausgeschlossen, kapiert?«
Boyd schwieg.
Newkirk wusste, dass Gonzales log, aber es war gleichwohl eine überzeugende Vorstellung. Er konnte nicht hinsehen, weil er glaubte, ihm würde schlecht werden.
»Das kann ich nicht gestehen«, sagte Boyd schließlich zögernd.
Gonzales seufzte theatralisch und überprüfte die Zange, klick-klick-klick. Dann beugte er sich zu Boyds Fuß hinab. »Wie viele Fußnägel braucht man eigentlich?«
Newkirk war es egal, ob Singer sah, wie er die Augen schloss und sich die Ohren
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