Stumme Zeugen
auch Newkirk zu tun gehabt hatte, da war er sich ziemlich sicher. Doch es seien noch andere dabei gewesen, sagte Villatoro. Er warte auf die Namen und ihre Verbindungen zu dem Fall. Es gebe da noch etwas anderes, doch die Verbindung zu dem Raubüberfall sei ihm unklar.
»Für mich sind das einfach zu viele Zufälle«, hatte Villatoro gesagt. »Vor allem, dass zwei von den mit dem Fall betrauten Polizisten jetzt hier leben. Finden Sie das nicht merkwürdig?«
Jess sagte, er wisse es nicht. So war es. »Ich kann mich nicht mit der Vorstellung anfreunden, bei uns könnten auf die schiefe Bahn geratene Cops leben«, sagte er. »Nein, der Gedanke gefällt mir gar nicht.«
»In meinem Herzen hoffe ich, dass es nicht so ist«, antwortete
Villatoro. »Ich habe dreißig Jahre mit Polizisten gearbeitet, und meistens waren sie engagiert und ehrlich. Selbstverständlich, ein paar faule Kollegen gab es schon. Aber wirklich schlechte Menschen habe ich nicht unter ihnen gefunden. Die Vorstellung gefällt mir so wenig wie Ihnen, und ich hoffe, dass ich mich täusche.«
»Ich auch.«
»Es gab einige Polizisten, die mir unsympathisch waren, doch das beruhte auf Gegenseitigkeit. Zu viele von den Cops, mit denen ich zusammenarbeiten musste, kamen aus L. A., und sie blickten auf mich und meine Polizeibehörde herab. Sie hielten uns für Kleinstädter, womit sie recht hatten, aber dafür hatten wir sehr engen Kontakt zu unseren Bürgern. Seit Arcadia von Los Angeles verschluckt wurde, ist das vorbei. Es ist schwer, sich an Veränderungen anzupassen, aber wie ich sehe, gibt es hier ganz ähnliche Probleme.«
»Ja, aber ich bin kein Gegner jeglicher Veränderung«, sagte Jess. »Durch die Ankunft meines Großvaters und die Gründung unserer Ranch hat sich auch etwas geändert. Es wäre selbstsüchtig, wenn ich denken würde, dass sich nichts mehr ändern darf, weil ich schon so lange hier bin. Leben und leben lassen, das ist meine Devise.«
Villatoro nickte. »Genau die richtige Einstellung.«
»Ich wünsche mir nur, dass unsere neuen Mitbürger Respekt vor der Vergangenheit und unserem Lebensstil haben«, sagte Jess. »Würde ich nach Los Angeles umziehen, würde ich auch nicht erwarten, dass sie Rinder und Elche importieren, damit ich mich wie zu Hause fühlen kann.«
Villatoro lächelte. »Beim Thema Respekt bin ich ganz Ihrer Meinung.«
»Es muss auch Respekt vor der Geschichte geben.«
»Und vor der Pflicht. Obwohl es dreißig Jahre her ist, seit ich die Worte laut aussprechen musste, kenne ich den letzten Absatz aus dem Verhaltenskodex für Polizisten immer noch auswendig.«
Jess hob die Augenbrauen. »Ich höre.«
»Mir ist bewusst, dass ich allein für die Qualität meiner Leistung verantwortlich bin, und ich werde jede Möglichkeit wahrnehmen, mein Wissen und meine Kompetenz zu verbessern. Ich werde mich stets bemühen, diese Ziele zu erreichen, meinen Idealen treu zu bleiben, den von mir gewählten Beruf als Berufung zu sehen und unter Gottes Augen ein möglichst guter Polizist zu sein.«
»Zu schade, dass Sie im Ruhestand sind«, sagte Jess.
»Ich bin diesen Idealen treu geblieben. Und noch nicht ganz im Ruhestand.«
Jess musste daran denken, wie ungewöhnlich es war, mit einem Fremden, den er kaum kannte, über solche Themen zu reden. Es tat ihm gut, dass auch andere wie er dachten. Er mochte diesen Eduardo Villatoro, durfte ihm aber nichts von den Kindern erzählen. Noch nicht.
Er überquerte die Straße. Villatoro konnte noch wichtig für ihn werden. Wenn er mit Sheriff Carey und seinen Leuten nicht klarkam, was ihm mehr und mehr wahrscheinlich schien, da sie durch die Zusammenarbeit mit den dubiosen Excops kompromittiert waren, musste er sich an jemand anders halten. Möglicherweise war Villatoro derjenige, dem er vertrauen konnte.
Während er zu seinem Pick-up ging, schob er die Hand in die Tasche, um sich zu vergewissern, dass er Villatoros
Karte eingesteckt hatte. Er hatte ihm die Telefonnummer des Hotels und des Apparates in seinem Zimmer aufgeschrieben. Auch Jess hatte ihm seine Nummer gegeben.
»Es wäre schön, Sie im Verlauf meiner Nachforschungen von Zeit zu Zeit sprechen zu können«, sagte Villatoro. »Es ist angenehm, einen alteingesessenen Einheimischen zu kennen, der sich hier auskennt. Hoffentlich haben Sie nichts dagegen. Ich bin in dieser Stadt ein Fremder.«
»Ich habe nichts dagegen«, antwortete Jess. »Solange Sie mich nicht nach Tratsch über meine Nachbarn fragen. Darauf lasse ich
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