Stumme Zeugen
eingeschaltet«, sagte Singer.
Plötzlich fiel Newkirk etwas ein. Eigentlich hatte er es Singer schon früher erzählen wollen.
»Heute morgen habe ich im Panhandle Cafe schon wieder diesen Excop aus Arcadia gesehen.«
»Villatoro?«
»Er saß einfach nur da und hat alles beobachtet. Der Dreckskerl macht mich nervös. Irgendwas stimmt nicht.«
»Ich werde mich über ihn kundig machen«, sagte Singer. »Gut möglich, dass er Ärger macht.«
Gonzales lachte. »Na prima. Noch mehr Ärger. Es hört nie auf.«
Newkirk schaffte es gerade noch bis zur Toilette, bevor er sich übergeben musste. Als er sich mit einem nassen Papierhandtuch das Gesicht säuberte, sah er im Spiegel den zum Putzen abgestellten Häftling, der am Vortag mit seinem Schrubber gegen die Tür gestoßen war.
»Was gibt’s zu glotzen?«, fragte Newkirk.
»Nichts. Vermutlich muss ich die Bescherung wegmachen.«
»Ja, sieht so aus.« Newkirk wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab und verließ die Toilette.
Sonntag, 10.15 Uhr
Monica Taylor nahm die Neuigkeit mit einer Gelassenheit auf, die sie selbst überraschte. Sie schaute Swann an. »Ich glaube es nicht.«
»Was soll das heißen?« Swann klappte sein Handy zu. »Er hat ein Geständnis abgelegt, auf einem Video.«
Monica schüttelte den Kopf. »Deshalb glaube ich es noch lange nicht.«
»Warum sollte er lügen?«, fragte Swann mit unbewegtem Gesicht. »Was um Himmels willen ist in dich gefahren, dass du es nicht glaubst?«
Sie wusste es nicht, und es war ihr auch egal. Es geht überhaupt nicht um Tom Boyd, dachte sie. Es ging um ein Gefühl, das sie an diesem Morgen empfunden hatte. Sie konnte es sich selbst nicht erklären, wie hätte sie es da Swann erklären können? Beim Aufwachen hatte sie einfach gewusst, dass ihre Kinder noch lebten. Es war, als hätte sie zum ersten Mal ein unsichtbares Band entdeckt, das sie mit Annie und William verknüpfte und das schon immer da gewesen war. Und sie war sicher, dass es nicht durchtrennt worden war. Sie waren irgendwo dort draußen. Wahrscheinlich verängstigt, vermutlich allein. Vielleicht verletzt. Aber sie lebten noch.
»Willst du das Video sehen?«, fragte Swann mit lauter werdender Stimme. »Wir können sofort zum Sheriff fahren, da kannst du es dir anschauen.«
»Ich will es nicht sehen.«
Swann seufzte genervt und wandte sich ab. Monica trank
einen Schluck Kaffee. Heute hatte sie sich geweigert, die verschriebenen Medikamente zu nehmen. Allmählich bekam sie wieder einen klaren Kopf. Sie sah Swann neben dem Herd stehen, grübelnd, mit dem Handy in der Hand. Dachte er darüber nach, jemanden anzurufen?
Er wandte sich wieder ihr zu. »Etwas nicht wahrhaben zu wollen ist ein starkes Gefühl, das ist mir klar«, sagte er. »Als erste Reaktion ist das ganz natürlich. Doch irgendwann muss man die Wahrheit akzeptieren, so hart es sein mag, Monica.«
»Ich muss gar nichts akzeptieren, Oscar.«
Wieder traten ihm die Augen aus dem Kopf, wieder wandte er sich ab. Es ist merkwürdig, dachte sie. Er begegnet meiner Unnachgiebigkeit nicht mit Mitgefühl, sondern mit Wut. Als würde ich nicht richtig mitspielen. Fast hätte sie gelächelt. Ich habe noch nie richtig mitgespielt. Das war mein Problem. Vielleicht ist es diesmal ein Vorteil.
»Vielleicht kann ich den Sheriff bitten, eine Kopie zu ziehen und sie herzubringen«, sagte Swann, mehr zu sich selbst. »Du hast doch einen Videorekorder, oder?«
»Ja. Aber es spielt keine Rolle.«
»Geht es um Boyd?«, fragte Swann. »Ist das dein Problem? Glaubst du, er wäre nicht fähig zu so einer Tat?«
Sie antwortete nicht. Ihr war klar, dass Tom zu allem fähig war, wenn er in Zorn geriet.
»Liebst du ihn immer noch?«
»Jetzt ist mir klar, dass ich ihn nie geliebt habe. Nicht auf die Weise wie meine Kinder.«
Swann schien etwas sagen zu wollen, überlegte es sich aber anders. Er starrte sie einfach nur ratlos an.
»Wie war noch mal der Name des Ranchers, mit dem du gestern am Telefon gesprochen hast?«, fragte sie.
»Was hat das denn jetzt mit unserem Thema zu tun? Außerdem hat er seinen Namen nicht genannt.«
»Warum hast du letzte Nacht meine Schlafzimmertür geöffnet?«
Die Frage brachte ihn aus dem Konzept. »Was?«
»Warum standst du plötzlich in meinem Zimmer?«
»Ich …«
»Streite es nicht ab. Ich habe dich gesehen.«
Swann lehnte sich gegen den Küchenschrank und blickte sie immer noch auf diese merkwürdige Weise an. »Ich wollte nur nachsehen, ob es dir gut
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