Stummer Zorn
sich wieder auf den Weg zu sich gemacht, um dort zusammenzubrechen. Barbara war wie immer die Treppen zur Vordertür ihres Garagenapartments hinaufgegangen - und hatte dabei wahrscheinlich großen Lärm gemacht, weil sie aufgrund des Bourbons tolpatschig war. Der Mann war bereits durch die Hintertür eingebrochen. Er hatte in der Dunkelheit auf sie gewartet. Als sie die Hand ausgestreckt hatte, um das Licht anzuschalten, hatte sie statt dessen einen Arm berührt.
Wir hatten es kaum ertragen, ihr zuzuhören, aber Barbara hatte mit zitternder Stimme immer weiter erzählt. Sie war schließlich ohnmächtig geworden. Nach der Vergewaltigung. Als er ihr gegen das Kinn geschlagen hatte.
Aber es war nicht vorbei gewesen, als sie wieder zu sich kam. Es wat noch eine ganze Weile nicht vorbei gewesen. Es würde niemals ganz vorbei sein, niemals. Das war es, was mich bis ins Mark erschüttert hatte, so schmerzhaft, daß ich vor Barbara zurückgeschreckt war. Was ihr geschehen war, konnte nicht repariert, geheilt, verdrängt, von ihr genommen, beschönigt werden. Es war irreparabel.
In New York hatte ich Leute gekannt, die auf der Straße ausgeraubt oder bei denen eingebrochen worden war. Aber durch Zufall war ich nie jemandem nahe gewesen, der das Opfer eines persönlichen und gewalttätigen Angriffs durch einen anderen Menschen gewesen war.
Wie Heidi Edmonds hatte Barbara nie das Gesicht ihres Angreifers gesehen. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wie er aussah: Augen, Haare, Körperbau oder sonst irgendwas Derartiges.
Aber er hatte sie Barbara genannt.
Mimi und ich waren uns später, als wir erst einmal nach Hause gekommen waren und uns ein bißchen beruhigt hatten, einig, daß die Tatsache, daß er ihren Namen kannte, sehr viel bedeuten konnte oder gar nichts. Wenn er ihr nachgestellt hatte (Stalking? In Knolls?), war es ein leichtes gewesen, ihn herauszufinden. Andererseits konnte er auch jemand sein, den sie kannte. Sie schien davon überzeugt, und das war so unvorstellbar, daß wir es einfach ausblendeten.
Es vergingen zwei Monate, in denen ich mich ganz auf meine Bücher konzentrierte. In diesen Wochen war ich so mit Eingewöhnung und Hausaufgaben, die meine volle Konzentration erforderten, beschäftigt, daß der Rest der Welt einfach ohne mich auskommen mußte,
Alicia schaute gelegentlich vorbei, und wir aßen bei ihr zu Hause zu Abend. Ray schien mich jetzt, da ich etwas so Normales tat, wie das College zu beenden, mehr zu mögen. Allerdings funkelten seine hellen Augen jedes Mal, wenn ich von meinem Leben in New York erzählte.
Mimi und ich trafen Cully bei den Houghtons zum Sonntagsbrunch. Es war ein unangenehmes Essen. Mimi und Elaine beschossen einander aus dem Unterholz, und Don hatte immer noch den Glanz in seinen Augen, der mich beunruhigte. Auch Cully war an diesem Tag nüchtern wie nie. Er erzählte, sein Streß als Berater am College sei viel größer als erwartet - viele Erstsemester hatten bereits Zweifel daran, ob sie das College überhaupt besuchen sollten. Sie hatten Heimweh. Wir schienen uns auf eine Art Waffenruhe geeinigt zu haben. Unser Umgang miteinander war lockerer und entspannter. Ich ertappte ihn dabei, wie er mich gelegentlich beobachtete und hatte das Gefühl, er finge an, mich als ganzen Menschen zu sehen, nicht nur als schönen Schwachkopf. Das war allerdings der einzige Lichtblick des Essens.
Ich entschied mich dafür, den Tag endgültig zu ruinieren und rief meine Mutter an. Sie war in der Kirche gewesen, nach Hause gekommen und hatte zu trinken begonnen. Jay war nicht da. Sie versuchte angestrengt, nüchtern zu klingen, ich wußte jedoch, daß sie es nicht war. Allerdings war sie stolz, daß ich wieder aufs College ging Und schaffte es, sich in angemessener Weise nach den Houghtons zu erkundigen und sie grüßen zu lassen. Außerdem sagte sie etwas Seh-sames. Sie erzahlte aus heiterem Himmel, sie habe jay nicht gesagt, wo ich war.
Darüber würde ich nachdenken müssen.
Ehe ich an diesem Abend ins Bett ging, kam ich zu dem Schluß, daß Jay Mutter gegenüber, Gott weiß warum, möglicherweise angedeutet hatte, er sei vor all den Jahren handgreiflich geworden. Mir fiel auch auf, daß ich eine ganze Weile nicht erlebt hatte, daß sie sich lange genug vom Alkohol fernhielt, um sich anzuziehen und zur Kirche zu gehen. Ich versuchte, diesen Gedanken zu streichen; ich kniff mich zur Strafe selbst. Ich würde nicht hoffen.
Während mein Zusammenleben mit Mimi zu angenehmer Routine
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