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Stummer Zorn

Stummer Zorn

Titel: Stummer Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
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welcher Verfassung ich war. Aber sie wollten ihrer Bestürzung Ausdruck verleihen. Mimi meinte, die meisten Anrufer klängen vetängstigt.
    Ich kauerte auf der Couch und hörte das beruhigende Gemurmel von Mimis Stimme im Hintergrund. Ich starrte in einet schrecklichen Leere, die in meinem ganzen Körper nachhallte, vor mich hin. „Emma" lag aufgeschlagen auf meinem Schoß, aber ich blätterte nicht um. Diese Krise war zu schlimm für die sanfte Jane.
    Ich war immer gesund gewesen, daher waren mir körperliche Schmerzen neu und entsetzlich. Ich konnte mich nicht bewegen, ohne daran erinnert zu werden, was mir widerfahren war, obwohl es nie weit genug aus meinen Gedanken verschwand, als daß das nötig gewesen wäre. Die Vergewaltigung passierte mir an diesem Sonntag immer und immer wieder.
    Ich entdeckte vieles.
    Ich entdeckte, daß Schmerz, der nach Rache verlangt, sich sehr von akzeptiertem Schmerz unterscheidet. Die Trauer um den Tod meines Vaters erschien jetzt wie der kälteste, grimmigste Wintertag, vielleicht nach einem Eissturm, wenn man bei jedem Schritt zittert. Aber dieser Schmerz hatte sich mir auf die Mitte der Stirn geheftet und mich mii einem zischenden O für Opfer gebrandmarkt.
    Ich entdeckte, daß ich sein Gesicht kennen wollte. Ich wollte dieses Gesicht mit beiden Händen packen und aufreißen, Schmerz verursachen, Blut vergießen. Ich wollte sagen: „Sieh! Das hast du mit mir gemacht!" Ich wollte ihn nackt und bei vollem Bewußtsein an einem öffentlichen Ort aufhängen und noch mal sagen: „Sieh! Das hast du mir angetan!", aber ich würde nie in der Lage sein, das zu tun. Aber dennoch wollte ich dieses Gesicht, und ich schwor, es zu finden. Ich schwor es, bevor ich ins Badezimmer ging, um zum ersten Mal in den Spiegel zu sehen.
    Ich entdeckte, daß mein Gesicht endlich mein eigenes war. Ich würde es nie wieder als etwas Separates sehen. Ich würde mich auch nie wieder für schön halten. Selbst nachdem die Haut geheilt und die blauen Flecken verschwunden waten.
    Ich wollte wissen, wie er aussah.
    Ich ging am Montag wieder in die Kurse. Es war schwerer als alles andere, was ich je getan hatte.
    In den zwei Tagen hatte die Heilung zwar begonnen, aber die blauen Flecken waren greller geworden, Wenigstens bedeckte meine Kleidung meine Rippen und meinen Bauch. Wenn sich ein Student des Houghton Colleges, ein Bewohner von Knolls gefragt hatte, wer das Vergewaltigungsopfer war, wußte er es jetzt.
    Das war der Grund, weswegen ich geschlagen worden war; damit jeder es wissen würde. Als ich den Schutz des Hauses verließ, kam mir in den Sinn, daß jeder Mann, den ich sah, jeder Mann, den ich kannte, derjenige sein konnte, der mir das angetan hatte. Et könnte sein Werk begutachten; er wäre zufrieden mit dem, was er mit meinem Gesicht gemacht hatte.
    Er wäre vielleicht wütend darüber, daß ich offensichtlich mein Leben fortführte. Als mir diese neue Angst bewußt wurde, bröckelte mein Mut. Ich hielt meine Bücher näher an meine Brust, als könnten sie mich beschützen. Mein Gang wurde schleppend. Ich war schwer versucht, nach Hause zurückzukehren, um mich vor seinen Augen zu verstecken.
    „Nein, nein, nein", fluchte ich laut und schlug mir die Bücher vor die Brust. Jetzt nach Hause zurückzugehen konnte leicht — so leicht - der erste Schritt dahin sein, mich für den Rest meines Lebens einzuschließen. Ich würde das nicht tun, ich konnte nicht. Das würde Ihm, was er wollte, auf einem Silbertablett servieren. Ich hatte das in seiner Wut gespürt.
    Aber mehr als das wußte ich nicht. Selbst während der erneuten Befragung durch die erschöpften Kommissare fiel mir nichts Konkretes ein, das ich ihnen sagen konnte, außer, daß der Mann weiß war, stabil gebaut ... sein Körper auf mir war nicht leicht gewesen; nicht denken, nicht denken ... und er hatte gesagt, er werde vielleicht zurückkommen.
    „Übliche Drohung. Machen Sie sich darüber keine Sorgen. Sie tun es nie", hatte Tendall versichert. Er hatte mich dabei nicht angesehen.
    Nie? Tendall log nur ein winziges bißchen, entschied ich. Nur ein winziges bißchen. Um mich nicht zu ängstigen.
    Da kam ein Mädchen, eine Studentin. Ich näherte mich ihr und würde an ihr vorbeigehen. Ich sah weder nach links noch nach rechts. Ich hörte den scharfen Seufzer, als das Mädchen vorbeiging.
    Schöner Gehweg, weiß und eben.
    In ein paar Stunden werden meine Kurse zu Ende sein, und ich kann mit Fug und Recht nach Hause gehen, dachte ich. Ich

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