Stummer Zorn
wütde eine andere Liste werden als alle, die ich je zusammengestellt hatte. „Wir werden vergleichen. Es ist schade, daß Heidi Edmonds nicht mehr hier in Houghton ist."
Ich richtete mich auf. Ich spürte, wie sich meine Schultern strafften. Selbst womöglich vergebliche Taten waren besser als gar keine. In meinem Innersten war ich ziemlich sicher, daß die geschulte, fachmännische Polizei den bestmöglichen Job machen würde, und in New York wäre unser Vorhaben lächerlich erschienen, aber hier in Knolls ...
„Ich glaube, wütend sein ist eine gute Art, damit umzugehen", sagte Barbara nachdenklich. „Das junge Mädchen - sie war wirklich noch ein Mädchen, weißt du —, das letzten Sommer vergewaltigt wurde; sie wurde depressiv. Heidi war eine von Stans Studentinnen. Er erzählte mir, sie sei so verängstigt, daß sie nicht mal zur Toilette gehen konnte, ohne daß jemand sie begleitete."
„Ich bin auch ziemlich verängstigt", sagte ich grimmig. „Ich brauche eine Stunde und manchmal eine Tablette, um einzuschlafen. Dann wache ich immer wieder auf. Nur - wegzugehen ist nicht der richtige Weg für mich. Es könnte hier zuviel für mich werden, aber ich werde versuchen, es auszuhalten."
„Ich muß es hier aushalten, ich habe keine Wahl", sagte Barbara. „Die Arbeit. Apropos, ich muß in einen Kurs." Sie sammelte die Utensilien ein, die Dozenten und Studenten überall mit sich hintrugen. „Wenn du mich brauchst, ruf mich an. Jederzeit."
Wir drückten einander kurz und fest die Hand. Als ich mich zum nächsten Kurs aufmachte, fühlte ich mich besser. Ich war nicht mehr alleine in dem verdunkelten Raum, und ich schaffte es irgendwie durch den restlichen Collegetag.
Als ich nach Hause kam, war ein Schlosser dabei, neue Vorrichtungen an allen Fenstern und Türen anzubringen. Mimi folgte ihm mit einer vergessenen Zigarette in der Hand von Zimmer zu Zimmer. Die gedankliche Schätzung der Kosten entsetzte mich. Ich ttieb Mimi in eine Ecke, um ihr zu sagen, daß ich dafür bezahlen würde. Mit einem knappen Satz erteilte sie mir eine Abfuhr. Als der Schlosser mit einem Scheck in der Tasche und einem Lächeln auf den Lippen ging, fragte mich Mimi, ob ich bereit sei, zu ihr nach oben zu ziehen. Ich hatte in den vergangenen beiden Nächten ihr Doppelbett geteilt; sie war so unruhig gewesen wie ich.
„Nein", sagte ich. „Ich werde mein Schlafzimmer behalten. Ich werde darin schlafen, und zwar ab heute nacht."
„Das ist verrückt", sagte Mimi geradeheraus, „Es gibt zwei Zimmer im Obergeschoß, die du haben könntest. Alles, was dafür nötig wäre, sind ein bißchen Zeit und Muskeln."
Es war töricht von mir, darauf zu bestehen, in meinem eigenen Zimmer zu schlafen. Reine Angeberei, kein Mut. Nachdem ich entschieden hatte, daß ich nicht zulassen würde, daß mich das fertigmachte, war ich stur genug, auf jeglichen Entschluß zu bestehen, wie undurchdacht auch immer er war. Ich hätte mir selbst einige Zugeständnisse machen sollen, mir selbst ein bißchen Freiraum lassen. Ich hätte wissen sollen, daß mein Leben nie wieder werden würde, wie es gewesen war.
„Mit all den Schlössern, die du hast einbauen lassen", beharrte ich, „könnte niemand auf der Welt einbrechen, es sei denn, es handelt sich um einen Profi, und er ist ganz lange ungestört."
„Dann, Frau Märtyrerin", sagte sie mit scharfer Zunge, „wird Cully im Eßzimmer direkt gegenüber deines Schlafzimmers schlafen."
„Es gibt keinen Grund für ..."
„Hör einfach mit diesem Heldinnengetue auf', sagte Mimi. Ihre Stimme wurde schrill und dünn. Ich sah ihre Hände zittern, als sie sich eine weitere Zigarette anzündete. „Du magst eine eiserne Frau sein wollen, aber meine Güte, ich habe Angst." Sogar die Katzen, die ausnahmsweise einmal friedlich nebeneinander schliefen, hoben aufgrund des warnenden Tons in ihrer Stimme die Köpfe. Ich fühlte mich sehr klein: wie mein Vater immer gesagt hatte, einen Kopf größer als ein Schwein.
„Mimi ... es tut mir leid. Ich habe mich so darauf fixiert, das zu überstehen, daß ich nicht darüber nachgedacht habe, wie du dich fühlen mußt."
Ich schloß die Augen (sie wurden wässrig) und biß mir auf die Lippe. Die natürlich prompt anfing zu bluten.
„Schon gut, du mußt dich nicht selbst geißeln", sagte sie mit zitternder Stimme. „Du hast im Moment genug um die Ohren. Du machst das toll. Treib es nur nicht zu weit. Ich möchte, daß Cully für mich einzieht, und er möchte es. Nur für
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