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Stummer Zorn

Stummer Zorn

Titel: Stummer Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
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Augenblick, schlimmer als der Anblick meiner sturzbetrunkenen Mutter, schlimmer als das lüsterne Gesicht meines Stiefvaters, schlimmer sogar als meine Vergewaltigung. Während dieser lange andauernden Qual hatte ich gewußt, wer mein Feind war. Er lag genau auf mir. Jetzt wußte ich nicht mehr, wer er war, ob er mich beobachtete, ob sein Haß auf mich erloschen oder noch lebendig war. Ich war am Ende meiner Kräfte. Meine Mutreserven waren erschöpft. Meine fast verblichenen blauen Flecken schienen wieder aufzuleben. Mein Zahnfleisch rund um die gelockerten Zähne schmerzte. Ich glaubte, im Mund wieder Blut zu schmecken.
    Als ich mir in der wohltuenden Einsamkeit des Badezimmers die Zähne putzte, entschied ich, es käme mir sehr zupaß, wenn mir in meinem ganzen Leben nie wieder etwas geschah.
    Nichts Unangenehmeres, als die Schlüssel verlegt zu haben, nichts Aufregenderes, als erfolgreich irgendwelche zum Teppich passenden Vorhänge zu finden. Ja, das hätte mir so gepaßt.
    Um mich besser zu fühlen, erlaubte ich mir, in Träumen zu versinken, die ich unter normalen Umständen aus meinen Gedanken verbannt hätte. Würde Cully mir einen Antrag machen? In Anbetracht von Vorbildern wie der erneuten Heirat meiner eigenen Mutter, der gescheiterten Ehe Elaine und Don Houghtons und Cullys und Mimis Fehlschlägen war es erstaunlich, daß ich Heirat in Erwägung ziehen wollte. Aber die Träume, die einem als Kind eingepflanzt werden, wird man nicht mehr los. Diese Traume können sehr wohltuend sein, wenn das bloße Erwachsenendasein einem wie eine Last vorkommt.
    Als ich mich unter einem Berg von Schaum in die Wanne sinken ließ, malte ich mir aus, wie ich in champagnerfarbener Seide und mit einem Florentinerhut (ich hatte eine solche Hochzeitsgarderobe mal in einer Show getragen) vor den Altar trat, an dem mich Cully erwartete — der natürlich einen Anzug trug. Das Gesamtbild wurde durch eine alte Kirche voller Blumen und Menschen, die uns beglückwünschten, halbherzig komplettiert. Mimi stand freudestrahlend neben dem Pfarrer, die Atme voller Blumen - aber ohne einen Hut wie den meinen zu tragen, entschied ich umsichtig; Mimi sähe mit einem Florentinerhut dämlich aus ...
    Als ich bereit war, die Nachttischlampe auszuknipsen und sich Cully neben mich legte, hatte ich Mimis komplettes Outfit geplant und mein Porzellan und Silberbesteck ausgewählt. CulLys Liebe den Verwundeten gegenüber, seine Distanziertheit, waren in meiner Vorstellung vollständig verschwunden - genauso wie meine Erinnerung an die Jahre, in denen ich mich vergebens um seine Aufmerksamkeit bemüht hatte.
    Als ich neben Cullys gleichmäßigen, ruhigen Atemzügen einschlief, hätte ich beinahe geträumt, für die Hochzeitsnacht wieder Jungfrau zu sein.
    Die Beerdigung war für Donnerstag um vierzehn Uhr angesetzt. Als ich an diesem Morgen aufstand, regnete es, ein kalter Herbstregen. Ich ließ mich von Mimi zu meinem ersten Kurs fahren; ich wollte den Tag nicht schon durchnäßt beginnen. Ich hatte überlegt, ob ich zum Gottesdienst gehen sollte oder nicht. Ich entschied mich dagegen, nachdem ich mich von meinem zweiten zum dritten Kurs geschleppt hatte. Ich hatte mir bereits ein Gegenargument zu dem, das ich von Mimi erwartete, zurechtgelegt. Aber als ich nach Hause kam und meinen Entschluß mitteilte, nickte sie nur.
    Cully hatte einen Termin, der ihn bis zur letzten Sekunde im Büro festhalten würde, also ging Mimi allein. Sie war von Erschöpfung gezeichnet: Ihr Blick war leer. Ihre Emotionen waren vom Ausmaß ihrer eigenen Intensität verzehrt worden. Unsere Gespräche waren, sofern sie denn stattfanden, angespannt. Wir brauchten alle Zeit, um zu heilen. Ich fragte mich, ob wir sie kriegen würden.
    Das Haus war, abgesehen vom Tosen des Regens, still. Nachdem ich zugesehen hatte, wie Mimis Auto aus der Auffahrt gefahren war, versuchte ich, mich mit einem Stapel zu erledigender Dinge am Schreibtisch niederzulassen. Ich machte mich in den meisten meiner Kurse ganz gut, besonders in den Englischkursen. Ich hatte so große Angst gehabt, das, was ich durchgemacht hatte, würde meine Noten ruinieren, daß ich faktisch viel mehr gelernt hatte. Erbitterte Konzentration half, mir die Wolfe vom Leib zu halten.
    Ich mußte für den Shakespeare-Kurs Macbeth lesen. Ich hatte Glück, daß ich mit dem Stück bereits vertraut war, weil ich es nicht schaffte, mich aufmerksam in etwas zu vertiefen. Ich versuchte es mit den Maßnahmen, die normalerweise halfen,

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