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Stummer Zorn

Stummer Zorn

Titel: Stummer Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
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einer Sackgasse. Vielleicht sollte ich es noch mal von einem anderen Blickwinkel aus versuchen.
    Zurück zur alten Frage. Was hatten wir, die Opfer, gemeinsam? Eine junge, unerfahrene Studentin. Eine über dreißigjährige Collegeprofessorin. Ein ehemaliges Model, jetzt angehende Autorin und ehrgeizige Studentin. Eine tüchtige junge Hausfrau.
    Schon ausgeschlossen: Körperbau, Frisur, Zugriffsmöglichkeit, Alter. Was ausgeschlossen werden konnte: mal sehen. Einkommen. Herkunft — bei Alicia und mir ähnlich, aber Barbaras Vater war Kleinbauer und ihre Mutter Krankenschwester, und Heidi Edmonds Vater war Pfarrer, Religion? Nein. Alicia war Baptistin gewesen, ich gehörte nominell der katholischen Kirche an, Barbara war Protestantin.
    Aber es mußte ein Muster geben, einen erkennbaren Grund. Diese Gewalttätigkeit, der Haß, hatte einen konkreten Grund. Ich mußte um meines inneren Friedens willen dahinterkommen. Ich mochte mir selbst und jedem anderen erzählen, daß ich keine Schuld trug, und ich hatte mir auch nichts vorzuwerfen; keines der Dinge, die man Vergewaltigungsopfern normalerweise vorwirft: Männer zu provozieren, sich aufreizend zu kleiden, nachts alleine auf der Straße zu sein. Als ob ein derart harmloses Verhalten bedeutete, daß das Opfer damit rechnen mußte, infolgedessen vergewaltigt zu werden. Als ob mangelnde Klugheit und Unvorsichtigkeit eine solche Bestrafung rechtfertigten. Aber ich behielt immer die nagende Ahnung im Hinterkopf, daß ich vielleicht irgend etwas fälsch gemacht hatte, mich auf gefährliches Terrain begeben hatte. Auf unschuldige, nichts ahnende Weise. Ich hatte diesen Gewaltakt provoziert, und ich wollte wissen wie.
    Ich konnte mich seit meinem Eintreffen an keine Auseinandersetzungen mit irgendwem in Knolls erinnern. Kein Disput, abgesehen von Diskussionen in den Kursen, kam mir in den Sinn, und die waren weder hitzig noch lang genug, um eine derartige Reaktion hervorzurufen, und ich hatte sie sehr oft mit anderen Frauen in den Kursen geführt.
    Als Mimi und Cully schließlich in ihren eigenen Wagen in die Auffahrt einbogen, war ich bereit zu reden. Ich wollte Stimmen und andere Ideen als meine eigenen hören. Sie wollten auch reden; über irgend etwas, egal was, um die Erinnerung an das gerade Erlebte aus ihrem Gedächtnis zu bannen, Sie hatten sich den Nachmittag freigenommen, um zur Beerdigung zu gehen, also waren sie den ganzen restlichen Tag zu Hause.
    Cully küßte mich. „Du tatest gut daran, nicht hinzugehen", sagte er und ging in die Küche, um uns allen Wein zu holen. Wir ließen uns im Wohnzimmer nieder. Ich fragte, welche Neuigkeiten über den Fortschritt der Ermittlungen es von seinem Freund bei der Polizei gab.
    „Er erzählt mir nicht alles", mahnte Cully. „Aber ich schätze, sie haben alles Naheliegende überprüft. Männer, die in den Nächten der Verbrechen in Motels eingecheckt waren. Landstreicher. Jeder in oder nahe der Stadt, der einen Eintrag wegen Gewalt- oder Sexualverbrechen hat. Bis jetzt hat fast jeder, den sie überprüften, ein Alibi für einen oder alle Vorfälle. Die Leute, die keine Alibis haben, scheinen wegen anderer Dinge nicht in Frage zu kommen: extrem klein, was nicht mit den Beschreibungen übereinstimmt, oder geistig behindert, was sich auch nicht deckt. Oder irgend etwas. Gott sei Dank ist Ray entlastet. Er war zu dem Zeitpunkt, als Alicia gestorben sein muß, mit Zeugen kilometerweit entfernt unterwegs."
    Also verschwand ganz nebenbei ein weiterer Name von der Liste. Die übrigen fünf waren: Jeff Simmons, Theo Cochran, Charles Seward, Don Houghton, John Tendall. Ich hatte Barbara etwas zu erzählen.
    „Niemand hat in irgendeiner der Nächte, in denen der Kerl zugeschlagen hat, irgend etwas Auffälliges gesehen", redete Cully weiter. „Das ist nicht überraschend, wenn man bedenkt, wie früh die Leute in dieser Stadt ins Bett gehen. Keine fälsch geparkten Autos, keine Fingerabdrücke, nur Spuren von ..." Er hielt plötzlich inne.
    „Von mir und den anderen", sagte ich leise.
    „Was für Spuren?" fragte Mimi plötzlich. Sie hatte ihren Wein sehr schnell und schweigend getrunken. „Ich will dich nicht aufregen, Nickie, aber ich verstehe nicht ganz, was das bedeutet."
    Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf eine Laufmasche in meiner Strumpfhose. „Was sie mit einem sich klebrig anfühlenden Tupfer von mir abnehmen konnten", sagte ich nach einer Weile, „waren ein Schamhaar, das nicht von mir war, Speichelproben, glaube ich,

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