Stummer Zorn
aber nichts schien zu fruchten. Die Katzen lieferten sich ein lautstarkes Wettrennen, beide gereizt, wegen des Regens eingesperrt zu sein. Ich konnte nicht aufhören, mir Alicias Beerdigung vorzustellen und mich schuldig zu fühlen, weil ich nicht hingegangen war, und wenn es nur gewesen wäre, um Mimi beizustehen. Wir mochten uns entfremdet haben, aber Liebe besteht ebenso aus Gewohnheit wie aus Gefühl.
Nachdem ich all meine rationalen Gründe für meine innere Unruhe durchgegangen war, fand ich den wahren. Ich war zum ersten Mal seit der Vergewaltigung allein im Haus.
Sobald ich das erkannt hatte, klappte ich Shakespeare zu und fing an, eine Verschwörungstheorie zu entwickeln. Wenn Mimi nicht zu Hause war, war es Cully; wenn keiner von ihnen im Haus war, dann, während ich im College war oder in der Bibliothek lernte. Nachdem ich es nicht bewußt vermieden hatte, allein zu Hause zu sein, kam mir in den Sinn, daß die anderen beiden ihr Kommen und Gehen so aufeinander abgestimmt hatten, daß gewährleistet war, daß ich nicht allein zu Hause war. Ich war davon überzeugt.
Nun ja. Ich war jetzt allein. Ich lauschte den Regentropfen, die von der Dachrinne fielen und blickte aus dem Fenster auf die durchnäßten Pflanzen zwischen Mimis und Mrs. Harbisons leerem Haus. Ich fröstelte ein bißchen und zog den Pullover enger um mich. Ich konnte keinen Augenblick länger am Schreibtisch sitzen; nicht mit dem Rücken zu dem stillen Zimmer.
Ich trieb mich im Haus herum. Attila hatte sich zusammengerollt, um in meinem Wäschekorb zu schlafen, aber Mao tänzelte um meine Beine. Treppauf, treppab, von der Küche in mein Schlafzimmer. Zurück ins Wohnzimmer. Es enthielt all meine Lieblingsfarben, meine eigene Harmonie der Teppiche und Möbel; aber ich konnte mich an der Eleganz und dem schönen Holz nicht erfreuen. Ich stand an einem der Fenster zur Straße und starrte hinaus auf die Häuser auf der gegenüberliegenden Seite, Sie sahen im zähen Nebel trist und trübselig aus.
Ein Mann kämpfte sich auf dem gegenüberliegenden Gehsteig entlang, den Kragen hochgeschlagen und einen Regenhut aus Plastik auf dem Kopf. Ich beäugte ihn mit träger Neugier und erkannte ihn nicht als einen der normalen Spaziergänger in der Nachbarschaft. Ein beharrlicher Typ, wenn er bei diesem Wetter einen Verdauungsspaziergang absolvierte. Erst als er genau gegenüber meines Fensters stand und sich umdrehte, um auf das Haus herüberzuschauen, erkannte ich, daß der Mann John Tendall war. Ich war schon auf dem Weg, die Haustür aufzureißen und ihn rufenderweise auf Kaffee oder eine heiße Schokolade einzuladen — so verzweifelt war ich. Selbst der protzige Tendall, der Polizist, den ich mit jener furchtbaren Nacht in Verbindung brachte, schien mir besser als die Stille im Haus. Ich ertappte mich mit der Hand an der Türklinke.
„Närrin", sagte ich laut. „Gute Idee. Bitte einfach einen Mann, der noch immer auf der Liste steht ins Haus, wenn du allein bist. Total intelligent." Ich nahm die Hand vom Türgriff. „Clever, Nickie." Es fühlte sich nicht gut an, mich selbst als Närrin zu bezeichnen, weil ich mich innerlich darauf vorbereitet hatte, freundlich zu sein und an dem Punkt gewesen war, an dem man bekannten Menschen automatisch vertraut.
Apropos, warum spazierte John Tendall eigentlich durch den scheußlichen, kühlen Regen? Besonders zu einem Zeitpunkt, an dem fast jeder andere Bewohner eines bestimmten Teils von Knolls ein paar Häuserblöcke weiter in der Kirche saß? Ich hatte mich umgedreht, um mich wieder an den Schreibtisch zu setzen, ging jetzt aber wieder zum Fenster, um ihn zu beobachten. Tendall hatte eine Pause eingelegt und blickte auf Alicias Haus. Dann konnte ich zusehen, wie er durch den Regen davon trottete.
Eventuell sinnierte Tendall, der hingebungsvolle Kriminalbeamte, über die Verbrechen. Vielleicht hatte er einen Blick auf mein und Alicias Haus werfen wollen, um sein Gedächtnis aufzufrischen. Vielleicht kehrte er an die Tatorte zurück. Meine Gedanken drehten sich wieder im Kreis. Barbara und ich telefonierten miteinander oder sahen einander fast täglich. Wir dachten immer noch darüber nach, wie wir unsere Liste, auf der nach wie vor sechs Namen standen, weiter ausdünnen konnten. Ich hatte ihr gesagt, daß ich Ray Merrit ausschließen würde, aber sie hatte ziemlich überzeugend argumentiert, daß es mehr benötigte als eines Bauchgefühls, um ihn von der Liste zu streichen. Wir saßen vorläufig in
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