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Stummer Zorn

Stummer Zorn

Titel: Stummer Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
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mir zu beweisen, daß ich es immer noch konnte. Ich hatte vorher nie ein Problem mit Sex gehabt und mich deswegen glücklich geschätzt. Die alptraumhafte Rückblende war durch etwas so kleines wie eine Hand auf meinem Mund ausgelöst worden.
    Cully küßte mich sehr behutsam und ging ins Badezimmer. Ich lag da und fragte mich, wie viele solcher Geschehnisse wohl noch auf mich warteten. Nach einer Weile kam Cully zurück und zog sich an, ohne etwas zu sagen. Wir mußten beide viel nachdenken. Er setzte sich an die Seite des Bettes.
    „Cully, ich glaube nicht, daß ich je darüber hinwegkommen werde", sagte ich niedergeschlagen, als ich bemerkte, daß er darauf wartete, daß ich etwas sagte. Dann war ich ärgerlich auf mich selbst. Ich hatte um Hilfe gerufen in dem Wissen, daß er dem nicht widerstehen konnte. Ich würde mich meinem Liebsten gegenübet nicht zu jemand Bemitleidenswertem machen.
    Er war selbst auch verängstigt gewesen, also fühlte er sich mir gegenüber jetzt unbehaglich. „Ich wünschte, ich könnte bei dir bleiben", sagte er direkt. Ich forschte in seinen Augen. „Ich kann nicht. Ich habe heute Termine, die ich einhalten muß." Er war auch noch nicht auf seinem morgendlichen Lauf gewesen. "Aber du bist nicht allein. Ich bin für dich da."
    „Du bist im Moment für eine ganze Menge vergewaltigter Frauen da", sagte ich, so sanft ich konnte. Unter der Bettdecke krallte ich meine Fingernägel in die Handfläche. Du hast es vielleicht ziemlich satt, dann noch zu einer anderen nach Hause zu kommen, Cully.
    „Nick", sagte er, zog mich hoch und legte die Arme um mich. Wir saßen so da, bis er merkte, daß ich mich an ihn gedrückt entspannte. „Ich werde den ganzen Tag an dich denken", sagte er.
    Ich glaubte daran. Es waren gute Worte, um mich zurückzulassen. Sie brachten ein bißchen Wärme in die äußeren Ecken, den Ort, an dem ich mich mit anderen Menschen befaßte; und ein wenig dieser Wärme sickerte ein paar Schichten tiefer, dahin, wo ich mit Menschen zu tun hatte, die mir sehr viel bedeuteten. Aber mein Innerstes, in dem ich als einsamer Homo sapiens lebte, war nach wie vor kalt, immer noch allein und würde es auch auf unbestimmte Zeit bleiben. Ich hatte eine Mission.
    In diesem ruhigen, kühlen Zimmer wurde mir zum ersten Mal bewußt, daß ich nie wieder die gleiche Frau sein würde, die ich gewesen war. Unterbewußt hatte ich erwartet, irgendwann ein „Klick" zu hören; nachdem die Polizei den Vergewaltiger gefaßt hatte, sobald ich sicher war, daß Cully mich liebte oder einfach zu irgendeinem beliebigen Zeitpunkt.
    Ich hatte mir vorgestellt, nachdem ich diesen „Klick" erlebt hatte wieder genau dieselbe zu sein wie vor jener düsteren Nacht. Ich hatte vergessen, was mich so sehr erschreckt hatte, als Barbara vergewaltigt wurde: meine Überzeugung, daß das, was mit ihr geschehen war, nicht wiedergutzumachen war. Bis zu diesem Augenblick hatte ich das nicht auf mich selbst angewandt. „Dumme alte Nick", sagte ich laut und mit einer gehörigen Menge Sarkasmus und knallte mir selbst gehörig eine.
    In diesem Moment hörte ich auf, auf den Klick zu warten.
    Ehe ich noch weiter sinnieren konnte, sprang ich aus dem Bett. Ich bewegte mich lebhaft, während ich mich anzog, und sammelte die Bücher zusammen, die ich brauchen würde. Einfach meinen Körper sich bewegen und arbeiten zu spüren belegte das unglaubliche Wunder, am Leben zu sein, erneut. Wie immer ging ich den Tag in Gedanken durch, während ich mir die Haare bürstete. Ein Kurs neun Uhr fünfundvierzig. Schluß für den Tag um elf Uhr fünfzehn. Treffen mit Barbara. Eine Ausarbeitung, die in - ich schielte auf den Kalender neben der Kommode - etwas mehr als einer Woche, genau vor Thanksgiving, fertig sein mußte, und all meine Klausuren in der
    Semestermitte waren geschrieben bis auf eine, die ein Professor auf Donnerstag gelegt hatte. Also mußte ich einige Zeit lernend in der Bibliothek verbringen, ehe Mimi und ich nachmittags zu Sarah Chase Cochran zum Tee gingen. Außerdem Zeit, um meinet Mutter einen Brief zu schreiben, eine weitere Fiktion, die alle wichtigen Dinge auslassen würde. Sie hatte mir eine Dankesnachricht für das Geburtstagsgeschenk geschickt, das ich ihr gesandt hatte, einen Pullover und eine Bluse, und darin erwähnt, daß sie mit einigen Freunden meines Vaters Essen gegangen war, um zu feiern. Wieder hatte sie Jay nicht erwähnt. Instinktiv unterdrückte ich die aufkeimende Hoffnung, wie ich es den

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