Stummer Zorn
geschlossen hatten, war uns beiden sehr wohl bewußt, daß wir einander ganz einfach nicht mochten.
Ich reichte Cully ein weiteres Plätzchen und dachte müßig darüber nach, daß Mimi ihren Anruf oben entgegengenommen haben mußte, da ich ihre Stimme nicht im Flur hören konnte.
„Geht es dir gut?" fragte mich Cully. „Nach heute morgen, meine ich."
Sein besorgtes Gesicht erinnerte mich an die schreckliche Rückblende.
„Es geht mir gut", sagte ich bestimmt. „Es mag noch etwas anderes auf mich lauern; ich weiß es nicht. Aber um ehrlich zu sein, geht es mir gerade besser denn je, seit es passiert ist."
„Ich hab es gehaßt, dich heute zu verlassen. Ich mache es heute abend wieder gut."
Es lag ein winziger Hauch verschwörerischer Sündhaftigkeit auf seinen schmalen, beweglichen Lippen, der mir Schauder über den Rücken jagte.
Ich zwinkerte ihm auf parodistische Weise lüstern zu; er lachte.
„Wirst du den heutigen Abend hier verbringen?" fragte ich, als er anfing, den Tisch abzuräumen. Nachdem er so oft abends nicht da war, weil er sich um seine Privatpraxis kümmern mußte, war er in die Gewohnheit verfallen, den Tisch abzuräumen und die Reste wegzuräumen, so daß alle Teller zum Abspülen und Trocknen gestapelt waren.
„Zwei Termine. Ich sollte so gegen einundzwanzig Uhr zu Hause sein."
Mimi hörte nicht auf zu telefonieren, bis Cully ungefähr zehn Minuten außer Haus war. Sie ging geradewegs zum Waschbecken und drehte mit unnötiger Kraft das Wasser auf.
„Was machen deine Eltern denn an den Feiertagen, Mimi?" fragte ich, nachdem ich ihr von unserem Essen am Freitag abend bei ihnen zu Hause erzählt hatte.
„Oh, ich habe vergessen, dir das zu erzählen. Seit Cully und ich das College beendet haben und unserer eigenen Wege gehen, verbringen sie Thanksgiving auf den Bahamas. Eis ist mittlerweile ein jährlicher Ritus. Sie haben darüber nachgedacht, ihre Reservierung zu stornieren, nachdem wir uns beide hatten scheiden lassen, aber als Mutter es vor ein paar Wochen erwähnte, sagte ich zu ihr, sie sollten ruhig fahren. Sie und Papa haben sich darauf gefreut, und wir können ohne Probleme unser eigenes Thanksgiving veranstalten."
Thanksgiving war schon immer mein Lieblingsfeiertag gewesen, also war ich froh, Freitag abend mit Elaine zu essen, anstatt den großen Festtag zu opfern, Mimi schien in einer ihrer mutterpositiven Stimmungen zu sein, also äußerte ich meine Erleichterung nicht laut. Es kam mir in den Sinn, daß Mimi ihre Mutter möglicherweise momentan mochte, gerade weil sie Thanksgiving nicht mit ihr verbringen mußte. Ich wäre sowieso nervös beim Gedanken datan gewesen, einen ganzen Tag mit Don zu verbringen, nachdem er auf der Liste stand. Ich hatte ihn seit dem seltsamen Vorfall an Alicias offenem Sarg nicht gesehen. Ich schauderte, wenn ich daran dachte und brachte meine Gedanken dazu, nicht dabei zu verweilen.
Ich fuhr damit fort, stumpfsinnig den Abwasch abzutrocknen, zufrieden damit, für eine Weile nicht nachzudenken. Allmählich bemerkte ich, daß Mimi auch ruhig war. Wir redeten normalerweise während dieser unangenehmen Pflicht, damit es schneller ging.
Es war an diesem Nachmittag zwischen uns so gut gelaufen, daß es fast schien, als sei niemals irgend etwas schiefgegangen.
„Ist Cully zu einem Abendtermin gefahren?" fragte Mimi.
„Ja."
„Vielleicht trifft er sich heimlich mit einer anderen Frau", sagte sie bitter.
Diese Art Bosheit aus heiterem Himmel war nicht typisch für Mimi. Sie kam so fies und unerwartet, daß ich mein Geschirrtuch weglegte und sie anstarrte. Sie brütete doch wohl nicht mehr über Richards Treuebruch mit der langhaarigen Dame in Albuquerque?
„Tut mir leid", sagte sie knapp. „Männerjunkies."
„Was?"
„Ich war mal in einer Lesung einer Mitarbeiterin der Ms.", erklärte sie, „die Frauen in unserem Kulturkreis als ,Männerjunkies' bezeichnete. Sie sagte, in den meisten Frauenzeitschriften gehe es darum, wie man Männer auf sich aufmerksam macht, hält und unterhält. Oder -nachdem man sie auf sich aufmerksam gemacht und sie gehalten hat -, wie man die Kinder dieser Männer unterhält und ernährt."
„War das damals auf dem College?"
„Ja, aber es stimmt immer noch, Nick. Wir sind immer noch Männerjunkies! Schau dir doch mal unsere Erziehung an. Die jeder Frau, aber besonders derer aus dem Süden. Alle werden so erzogen. Erinnerst du dich noch an die Jugendzeitschriften? Da stand alles drin, bis zu der Art und Weise,
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