Stummer Zorn
zurück, und Sarah Chase wußte das. Sie begegnete dem mit Wurde. Ich fragte mich, ob es die schreckliche Krankheit ihrer Tochter war, die die Cochrans unten gehalten hatte, die Sarah Chase das Aussehen von jemandem verliehen hatte, der besiegt ist, aber den Ring nicht verläßt.
Auf dem künstlichen Kaminsims stand ein Bild eines Mädchens, von dem ich annahm, es sei Nell. Sie war ein gewöhnliches Kind, hatte aber eine Lebendigkeit im Gesicht, die sie attraktiv machte. Ich fragte mich, ob Nell im Haus war. Ich erinnerte mich an Theos versteinerten Gesichtsausdruck, als Barbara Nells Krankheit auf der Party erwähnt hatte, und entschied, nichts zu riskieren.
Aber Mimi forderte es heraus. Mimi ist schrecklich gut darin, tiefe Anteilnahme auszudrücken. Sie hat einen besonderen Blick dafür, der nicht aufgesetzt wirkt, obwohl et eingeübt ist. Ich habe den gleichen Ausdruck zufällig flüchtig in meinem eigenen Gesicht zu sehen bekommen, in Spiegeln. Also nehme ich an, daß wir ihn gelernt haben. Die Brauen ziehen sich zusammen und bilden eine Falte über der Nase, der Mund wird zu einer schmalen Linie, und man sieht direkt in die Augen des Objekts der Besorgnis.
„Sie ist wieder im Krankenhaus", sagte unsere Gastgeberin und schüttelte leicht den Kopf. „St. Jude's in Memphis. Natürlich erwarten wir nicht..." Sie verstummte allmählich.
Daß Nell am Leben blieb? Daß ein Wunder geschah? Daß Nell jemals wieder nach Hause kam?
Durch mein neues Einfühlungsvermögen in Leid spürte ich einen Bruchteil dessen, was Sarah Chase und Theo durchmachen mußten. Ihr einziges Kind war im Begriff zu sterben, und sie waren hilflos. Ich warf einen Blick zu Barbara und sah ihrem Gesichtsausdruck an, daß ihr der gleiche Gedanke durch den Kopf ging. Wir hatten eine wunde, schmerzempfindliche Oberfläche. Wir konnten Hilflosigkeit nachvollziehen. Gleich würde Sarah Chase dieses Mitfuhlen auch bemerken. Obwohl ich diese Frau kaum kannte, sagte mir dieses Silberservice irgendwie, daß sie es hassen würde, Gegenstand wunder Gefühle zu sein.
Ich stürzte mich ungeschickt in Schulerinnerungen. Bald darauf waren wir dabei, kleine Anekdoten aus unseren Jahren bei Miss Beachams auszugraben. Sarah Chase erzählte uns mit mehr Strahlen, als sie bis dahin gezeigt hatte, wie es war, dort Schülerin und gleichzeitig mit der Gründerin verwandt zu sein. Der Gründerin!
„Ich erinnere mich, wie ich Theo abholte, um zum ersten Mal Tante Martha zu treffen", sagte sie mit einem leichten Lächeln, während sie die Kekse und Nüsse nochmal herumreichte. „Mein Gott, er war so ängstlich und auch voller Bewunderung. Natürlich redet meine ganze Familie über Tante Martha, als sei sie der Allmächtige.
Ich glaube, wir Nichten und Neffen dachten, sie sei es, als wir ldein waren."
„Wie hast du Theo kennengelernt?" fragte Mimi sanft. Sie war entschlossen, diesen Gesprächsstrang weiter zu verfolgen, da er Sarah Chase offensichtlich erfreute.
„Nun, wir waren zusammen auf dem College. Meine gesamte Familie arbeitet in der Bildung, also war es selbstverständlich", sagte sie mit einer abschätzigen Handbewegung, „daß ich auch Lehrerin werden würde, und Theo wollte im Verwaltungsbereich der Bildung arbeiten ... wir hatten viele gemeinsame Kurse. Es ist einfach irgendwie passiert." Sie zuckte die Achseln, lächelte und sah beinahe hübsch aus.
„Arbeitet Theos Familie auch im Bildungsbereich?" fragte Barbara tapfer.
„Nein, er ist der erste", antwortete Sarah Chase ein wenig zu fröhlich; da wußte ich, daß Theo sich aus eigener Kraft hochgearbeitet hatte.
Ich fing an, Theo Cochran zu bewundern. Ich wußte, wie es war, von ganz unten anzufangen, unbekannt, in einem Beruf, der in großem Maße von Gunst, Wohlwollen und Kontakten abhing. Mimi mochte Theo, obwohl sie ihn für einen Korinthen kacker hielt. Er hatte Houghtons Ablagesystem grundlegend modernisiert und wurde von den Frauen, die für ihn arbeiteten, vergöttert.
Es gibt viele gute Menschen auf der Welt, sagte ich mir. Das geriet viel zu leicht in Vergessenheit. Ich verglich mein Leiden mit dem Schicksal, das Theo und Sarah Chase zu tragen hatten. Ausnahmsweise schienen die Gewalttaten, die mir angetan wurden, belanglos. Immerhin hatte ich es überlebt, und es war nach fünfzehn Minuten vorbei gewesen. Das Martyrium der Cochrans konnte sich noch jahrelang hinziehen.
„Ich habe am Samstag morgen versucht, dich wegen der Weihnachtsfeier der Fakultät anzurufen", erzählte
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