Stunde der Vergeltung (German Edition)
bleiben und Erin unter die Arme zu greifen. Aber es würde in jedem Fall eine böse Szene geben.
Tam war erschöpft und stand gleichzeitig noch immer unter Strom. Vermutlich die Nachwirkungen der Droge.
Janos’ letzter Vorschlag hatte sie kalt erwischt. Wie war er darauf gekommen? Ihre am besten gehüteten, schmerzvollsten Geheimnisse – und er pickte sie einfach aus ihrem Kopf und wedelte damit vor ihrer Nase herum. Ganz beiläufig.
Seit Janos Stengls Namen erwähnt hatte, liefen vor ihrem geistigen Auge die Bilder aus der Vergangenheit ab – inklusive sämtlicher sensorischer Details.
Sie war wieder fünfzehn, ein gramgebeugtes Opfer. Ein hilfloses Spielzeug für jeden, der sich mit ihr amüsieren wollte. Und das hatten sie getan – oh ja, und wie sie das getan hatten, damals in den schlechten alten Tagen. Bevor Tam gelernt hatte, den Spieß umzudrehen.
Auf ihrer Suche nach Stengl, diesem soziopathischen Hurensohn, hatte Tam die Fühler über den ganzen Globus ausgestreckt. Sie wollte ihn erwischen, bevor er die relativ sichere Zuflucht der Kriegsverbrechertribunale erreichte.
Oh, ja. Sie wollte ihn selbst töten, mit bloßer Hand, aus nächster Nähe – als letzten Versuch, die rastlosen Geister, die sie heimsuchten, zu vertreiben. Rache. Die eine Verlockung, der sie nicht widerstehen konnte.
Tamara fragte sich, wo Janos gerade stecken mochte. Beim Verlassen des Ballsaals hatte sie es bewusst vermieden, nach rechts oder links zu schauen. Sie wollte nicht riskieren, seinem Blick zu begegnen und zu erröten wie ein dummer Teenager, oder, schlimmer noch, einen Heulkrampf zu bekommen. Ihr zerzaustes Haar, ihr wilder Blick, das verschmierte Make-up, das alles reichte längst, um die Gerüchteküche unter ihren Freunden anzuheizen.
Er hatte sich nicht aus dem Staub gemacht. Dessen war sie sich sicher. Er war in der Nähe und beobachtete sie.
Aus einem Impuls heraus schlüpfte sie aus dem Bett und lief barfuß zur Tür. Sie verharrte minutenlang mit der Hand an der Klinke, um dieses glühende, sirrende Gefühl zu identifizieren. Angst … oder Erwartung.
Sie öffnete die Tür und war kein bisschen überrascht, ihn auf der anderen Seite vorzufinden. Ein Magier wie er konnte durch Wände sehen. Schließlich hatte er durch die in ihrem Kopf geblickt, und die waren dicker.
Sie starrten einander an. Tam war unfähig zu sprechen.
Val brach das Schweigen. »Es ist kalt«, bemerkte er und guckte an ihr vorbei zu dem winzigen Bündel namens Rachel, das in dem breiten Doppelbett lag. »Lass mich reinkommen. Dann kannst du die Tür schließen, damit die Wärme für das Kind im Zimmer bleibt. Wir müssen reden.«
Tam unterdrückte den Impuls, ihm eine schneidende Erwiderung um die Ohren zu hauen. Sie ließ ihn ein, schloss die Tür und positionierte sich mit dem Rücken zu dem schmalen Lichtstreifen, der aus dem Bad hereindrang, um sein Gesicht sehen zu können, während sie selbst eine enigmatische Silhouette blieb.
Der Versuch war sinnlos. Sie konnte nichts darin lesen. Sein Gesicht sah durch die markanten Schatten im Halbdunkel wie eine harte, aus Stein gemeißelte Maske aus.
Sie gab ihm mit einer Geste zu verstehen, ihr ins Bad zu folgen. »Sprich leise«, flüsterte sie. »Rachel hat einen leichten Schlaf. Sie ist zwar erschöpft, weil sie viel länger auf war als sonst, aber falls sie wach wird, können wir uns darauf einstellen, dass sie eine geschlagene Stunde Zeter und Mordio schreit. Und das kann ich im Moment nicht verkraften.«
Val nickte, dann betrat er hinter ihr das kleine, luxuriöse schwarze Marmorbad. Reglos blickten sie einander an, doch die Energie zwischen ihnen war ein dynamischer Strudel, vergleichbar mit der von zwei sich argwöhnisch umkreisenden Duellanten.
Tam konnte seinen Duft riechen, seine Hitze fühlen.
»Du wirst mit mir kommen«, sagte er. Es war keine Frage.
Sie schloss die Augen, schluckte. »Gratulation, Janos«, erwiderte sie. »Du hast herausgefunden, an welchen Fäden du ziehen musst. Ich komme mit, wenn auch nur unter einer Bedingung.«
»Nenne sie.«
»Wir kümmern uns als Erstes um Stengl.«
Sie sah das Nein in seinen Augen und schüttelte den Kopf. »Der Punkt ist nicht verhandelbar, Janos. Zuerst knöpfen wir uns Stengl vor, andernfalls könntest du versuchen, mich zu Novak zu schleifen und den Handel direkt zum Abschluss zu bringen. Ich verspreche, dass ich einen guten Kampf liefern werde.«
Val schüttelte grimmig den Kopf. »Nein. Wir können Stengl
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