Stunde der Vergeltung (German Edition)
»Raus mit euch«, befahl er. »Ich kümmere mich um den Letzten, sobald du mit dem Kind ausgestiegen bist.«
Tam hängte sich Wickeltasche und Handtasche über die Schulter, drückte Rachels Gesicht an ihren Oberkörper und stieg über die Beine des Fahrers hinweg.
Sie kletterten aus dem Todesbus heraus in die frische Morgenluft. Die Dämmerung war nicht mehr fern. Tam atmete tief ein.
Sie fühlte den schallgedämpften Schuss durch ihren Bauch vibrieren, als Janos’ Kugel den Nacken von Fetthals durchbohrte und den Job zu Ende brachte. Janos stieg aus und gab ihr mit einem Rucken seines Kinns zu verstehen, ihm zu folgen.
Tam drückte Rachel fester an sich. »Ich lasse nicht zu, dass du mich zu Georg Luksch bringst«, sagte sie, mit einem Mal erschöpft. »Eher würde ich sterben.« Ihre Aussage war sinnlos, aber sie gab sie aus Prinzip ab.
Er starrte sie an, kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. »Ich bringe dich nicht zu Georg Luksch.«
Verblüfft blinzelte Tam ihn an. Ihre Augen brannten und juckten in der Brise, die ihnen entgegenblies. »Äh … nein? Aber was tust du dann hier?«
»Ich helfe dir«, entgegnete er knapp. »Komm mit. Schnell.«
In Ermangelung eines besseren Plans folgte Tam ihm nach kurzem Zögern.
»Jemand wird heute Morgen eine schlimme Überraschung erleben, wenn er versucht, den Shuttle zu seinem Terminal zu nehmen«, bemerkte sie.
Janos bewegte sich schnell und ohne sie anzusehen. »Nicht unser Problem.«
»Das wird es werden, wenn sie den Bus auf Fingerabdrücke untersuchen und meinen verflixten Pass überprüfen«, meinte Tam säuerlich. »Das hat mir gerade noch gefehlt – eine Mordanklage. Dabei hatte ich nicht mal eine Waffe dabei. Als hätte ich nicht schon genügend Probleme.«
»Schneller, bitte. Möchtest du jetzt gleich, während die halbe Welt hinter dir her ist, mit der Polizei darüber sprechen oder lieber später?«
Tamara beschleunigte ihr Tempo zu einem schwerfälligen Galopp. Rachel war überhaupt nicht schwer, aber die wiederholten Adrenalinstöße forderten ihren Tribut und beeinträchtigten Tams motorische Fähigkeiten. »Später passt gut«, sagte sie. »Vielleicht im nächsten Leben.«
»Dann sind wir uns ja einig.«
Sie hasteten weiter. Tam keuchte, ihre Armmuskeln brannten vor Anstrengung. Ihre Beine zitterten. Sie durfte noch nicht zusammenbrechen. »Woher wusstest du, wo ich bin?«, stieß sie hervor.
Val stieß einen scharfen Seufzer aus und warf ihr einen genervten Blick zu. »Ein Hochfrequenzsender. In deinem Schmuckkoffer.«
Mit offenem Mund blieb sie wie vom Donner gerührt stehen. »Wie hast du … ?«
»Später. Lauf weiter.« Er zerrte an ihrem Arm, um sie wieder in Bewegung zu setzen.
Tam erkannte, dass sie auf Höhe der Rentnerkarre waren. »Halt«, rief sie.
»Wir werden nicht mit diesem Wagen fahren«, erklärte Janos. »Beeil dich. Wir haben keine Zeit für … «
»Ich muss Rachels Autositz holen.«
Die unverblümte Ungläubigkeit in Janos’ Gesicht ärgerte sie.
»Es ist gesetzlich vorgeschrieben«, argumentierte sie. »Kinder müssen ordnungsgemäß angeschnallt sein. Man kann sie nicht einfach in einem Auto durchrütteln lassen. Das ist nicht sicher.«
Ihre angespannten Nerven verkrafteten seine »Du willst mich wohl verarschen«-Miene nicht. »Hör zu, du Wichser. Ich habe alles hinter mir zurückgelassen!«, informierte sie ihn mit schriller Stimme. »Mein Zuhause, meine Sachen, meine Freunde, meine Arbeit, meinen Kinderwagen, Rachels Tylenol, ihre Feuchttücher und Allergiemedizin! Wegen dir musste ich unsere gesamte Identität aufgeben. Ich werde Rachels Autositz nicht hierlassen, also geh mir verdammt noch mal aus dem Weg!«
Janos hob beide Hände, seine Augen geweitet hinter den albernen Brillengläsern. » Calmati «, murmelte er. »Ganz ruhig. Und mach bitte schnell.«
Er sah komplett verändert aus mit diesen Haaren, dem buschigen Bart und der idiotischen Wollmütze. Tam starrte ihn eine Sekunde an, schüttelte den Kopf und drückte ihm Rachel in die Arme. Was sollte sie sonst tun? Auf keinen Fall war das Kind in der Lage, allein zu stehen.
Mit steifen, zitternden Fingern fischte sie den Schlüssel aus der Handtasche, dann öffnete sie die Tür und kämpfte mit Gurten und Verschlüssen, bis sie den Autositz aus dem Wagen befreit hatte.
Anschließend klappte sie den Kofferraumdeckel auf und nahm auch ihren Schmuckkoffer mit. Warum nicht? Allem Anschein nach würde sie in naher Zukunft kein Flugzeug
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