Stunde der Wahrheit
abgeholt werden. Sie wusste ja nicht einmal, was sie von alledem halten sollte. Die Eisentür fiel ins Schloss und dem darauffolgenden Klicken nach war sie nun endgültig allein. Na super!, dachte sie und warf einen Blick auf die Uhr. Es war kurz vor Mitternacht und sie saß zugedröhnt in einer fremden Wohnung, in der wohl zwielichtigsten Gegend der Stadt. Noch grotesker konnte es nicht werden. Doch sie verspürte keinerlei Panik, was zweifellos an dem beruhigenden Wirkstoff lag. Ob Eric die Mixtur selbst getestet hatte? Ob sie gesundheitsschädlich war? Ihre Gedanken drifteten allmählich ab und ihr Kopf sank ganz langsam auf die Sofalehne zurück.
Kapitel 9
Emma öffnete schlagartig die Augen und sah sich um. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie geschlafen hatte, doch das flaue Gefühl im Magen ließ sie endgültig erwachen. Sie rappelte sich umständlich vom Sofa auf und zwang ihre Beine voran. Es überraschte sie, dass sie laufen konnte, auch wenn sie nicht wusste, warum sie das überraschte. Ihre Gedanken waren so träge wie ihre Bewegungen. Sie versuchte sich zurückzuerinnern, kam aber nur zu der Erkenntnis, dass sie sich in Erics Wohnung befand. Er hatte ihr etwas Wichtiges erklärt, doch sie konnte den Nebel in ihrem Kopf nicht ganz durchbrechen. Sie erreichte das Bad, stürzte auf die Toilettenschüssel zu und übergab sich. Schließlich stand sie auf und betrachtete sich im Spiegel. Sie war blass und auf ihrer Stirn glänzten Schweißperlen.
Warum war sie hier und wo war Eric? Emma spülte ihren Mund mit Zahnpasta und Wasser aus, dann scheffelte sie sich eiskaltes Wasser ins Gesicht, um einen klaren Kopf zu bekommen. Schließlich ging sie ins Wohnzimmer zurück. Jetzt, wo sie ihren Magen erleichtert hatte, fühlte sie sich gleich viel sicherer auf den Beinen.
Er hat mir Drogen verabreicht
, erinnerte sie sich.
Und hierher verschleppt
. Nur weshalb, wusste sie nicht. Doch eigentlich spielte das auch keine Rolle, denn alles, was sie wollte, war von hier verschwinden. Sie sah sich nach Eric um, konnte ihn in der Zweizimmer-Wohnung aber nirgends finden. Also öffnete sie die Wohnungstür oder versuchte es zumindest, denn als sie daran rüttelte, blieb sie verschlossen. Verdammt!, dachte sie und erinnerte sich vage daran, dass er sie eingeschlossen hatte. Aber wieso hatte er sie überhaupt zurückgelassen? War er etwas Wichtiges erledigen? Würde er gleich wiederkommen? Sie konnte sich nicht daran erinnern. Dafür schossen ihr dutzend unschöne Szenarien durch den Kopf, was er mit ihr anstellen würde, wenn er zurückkam. Sie musste hier weg, sofort und es gab offenbar nur einen möglichen Ausweg. Emma lief ins Wohnzimmer zurück und öffnete das Fenster, um einen Blick nach unten zu werfen. Sie befand sich in der zweiten Etage, es war also nicht unmöglich!
Sich Mut zuredend, zog Emma ihren Mantel über, stopfte die High Heels in ihre Umhängetasche und setzte sich auf die Fensterbank. Schräg unter ihr befand sich ein Balkon, auf den sie sich abseilen konnte. Sie musste nur etwas finden, das sie als Strick benutzen konnte. Emma lief eilig in sein Schlafzimmer und durchwühlte den Kleiderschrank nach Hemden und Shirts. Und als sie genügend zusammen hatte, knotete sie ein langes Seil, das sie unterhalb des Fensters an der Heizung befestigte. Sie überprüfte die Stabilität, indem sie mit ganzer Kraft daran zog, dann stieg sie vorsichtig aus dem Fenster. Emma schauderte, als sie ihre Beine aus dem Fenster hangelte und die eisige Luft durch den dünnen Stoff ihres Kleides drang. Sie kam zuerst mit dem linken Fuß auf und war erleichtert, als sie festen Grund unter der Sohle spürte.
Dann mit dem zweiten und schließlich stand sie auf der Brüstung des Balkons. Von dort aus war es nicht mehr schwer, den Boden zu erreichen. Emma sank in eine sitzende Position und sprang die letzten zwei Meter hinunter. Sie kam unsanft mit den Füßen auf und verspürte ein Ziepen im rechten Fußknöchel, doch ansonsten fehlte ihr nichts. Okay, sie war aus seiner Wohnung entkommen. Und nun? Eine Bushaltestelle war weit und breit nicht in Sicht und da sie auf der Hinfahrt geschlafen hatte, konnte sie nicht sagen, aus welcher Richtung sie gekommen waren. Sie drehte sich einmal um die eigene Achse und begutachtete drei Straßen, welche von der Kreuzung abgingen. Keine davon sah freundlich aus, doch am Ende des mittleren Wegs sah sie das Werbeschild eines Spätkaufs aufblinken.
Gottseidank
, dachte sie und marschierte los. Dort
Weitere Kostenlose Bücher