Sturm auf den Hexenstern
»dann…«
»Was dann?« herrschte Ranky sie an. »Eine Falle, ja vielleicht. Aber eine andere, als ihr es euch jetzt vorstellt. Wartet ab und bringt uns jetzt endlich zum Schiff. Dämon und Rattenwurz! Ist der Drache vielleicht hier bei uns im Korb!«
*
»Ein Drache?« fragte Gerrek entsetzt. »Ihr meint, ein richtiger Drache?«
»Ja«, versetzte Kalisse. »Ein richtiger…«
»Ach«, gab der Mandaler sich ungewohnt großzügig. »Euer Spott trifft mich nicht mehr. Drachen wie den da gibt es viele. Beuteldrachen nur einen.«
»Zuviel«, sagte Kalisse, während sie die an Bord genommenen Inselbewohnerinnen beobachtete.
»Wie?«
»Einen zuviel. Und jetzt laß mich in Ruhe. Mythor, sind das etwa alle, die von der Insel geholt wurden? Ich meine, alle, die auf ihr lebten?«
Der Gorganer zuckte die Schultern.
»Jedenfalls berichteten die Amazonen das.«
»Keine Männer? Kein einziger Mann? Und wie bekommen sie ihre Kinder?«
»Es sind auch keine Kinder dabei. Die jüngste der Frauen ist schon im geburtsfähigen Alter.«
»Weiber«, verbesserte ihn Gerrek. »Sie nennen sich nicht Frauen, sondern Weiber.«
Kalisse bedachte ihn mit einem mitleidigen Blick. Dann nickte sie in Richtung des Hecks, wo Josnett, Taukel, Ranky und die drei Amazonen der Burra standen. Gudun löste sich nun aus der Gruppe und kam zu den Gefährten herüber. »Vielleicht erfahren wir jetzt endlich mehr. Und seht nur hin! Diese Ranky beginnt, mir zu gefallen.«
Damit konnte nur gemeint sein, daß die Anführerin der zwanzig Inselweiber der Hexe in diesem Augenblick einen solchen Stoß vor die Brust gab, daß Taukel zu Boden ging und kreischend auf den Planken liegenblieb.
Mythor kniff die Augen zusammen. Die Entwicklung, seitdem die Eingeborenen an Bord genommen worden waren, bescherte ihm einiges Kopfzerbrechen. Ranky, ihre Führerin, hatte sich sogleich zu Josnett führen lassen und dieser etwas zugeflüstert, woraufhin Josnett Taukel zu sich gerufen und einige Dinge gesagt haben mußte, die die Hexe in äußerste Erregung geraten ließen. Die Frauen hatten sich angeschrien, ohne daß verständlich wurde, worum es dabei eigentlich ging. Und auch jetzt traf Josnett keinerlei Anstalten, Ranky zu maßregeln. Im Gegenteil: Sie ließ Taukel einfach liegen und besprach sich leise mit der Inselbewohnerin.
Kurz warf Mythor einen Blick zum Eiland hinüber, von dem sich die Südwind bereits wieder entfernt hatte. Das Schiff hielt sich östlich von ihm, während Taukel noch vorhin darauf gedrängt hatte, es an der Nordspitze zu umschiffen und den Weg durch die Meerenge zwischen ihm und der westlichen Nachbarinsel zu nehmen.
Von dem riesigen Drachen, dessen schreckliches Haupt für wenige Augenblicke über den Hügeln erschienen war, war nichts mehr zu sehen. Nur sein Gebrüll hallte schaurig in der Ferne.
Mythor begriff das alles nicht und blickte nun Gudun erwartungsvoll an.
»Diese Ranky behauptet, uns wieder auf den richtigen Kurs bringen zu können«, begann die Amazone. »Ein rauhes Weib und frei heraus. Aber sie ist keine Kannibalin, wie Josnett wohl befürchtet hatte. Sie und ihre Weiber wollen zum Hexenstern, um für die Zaem zu kämpfen.«
»Den richtigen Kurs?« fragte Mythor. »Auf den will uns auch Taukel bringen.«
Gudun machte eine abfällige Geste.
»Das ist es ja. Deshalb stritten sie sich. Ich verstehe das ebensowenig wie ihr. Aber Josnett scheint Ranky eher zu glauben als Taukel. Vielleicht ist sie nur wütend auf die Hexe, weil diese es nicht vermochte, die Südwind von vorneherein auf Kurs zu halten. Vielleicht hat sie das beeindruckt, das Ranky mit ihr zu flüstern hatte.«
»Hast du etwas davon verstehen können?«
»Nichts, außer, daß es um ein merkwürdiges Orakel geht.« Gudun winkte ab. »Aberglaube. Jedenfalls will Ranky genug von Seemagie verstehen, um die Südwind sicher zur Flotte zurückzubringen. Außerdem kennt sie diese Gewässer. Josnett jedenfalls gibt ihr den Vorzug vor Taukel.« Gudun neigte den Kopf. »Doch sie muß noch einen anderen Grund haben. Immerhin ist Taukel ihr von Lacthy geschickt worden, und wenngleich es sich offenbart hat, daß Taukel kaum etwas von ihrem Handwerk versteht, setzt sich Josnett der Gefahr aus, mit Lacthy aneinanderzugeraten.« Sie seufzte und breitete die Arme aus. »Irgend etwas sagt mir, daß wir mehr wissen werden, wenn die verdammte Insel erst einmal hinter uns liegt.«
Mythor nickte. Viele Fragen stellten sich ihm, doch er sah ein, daß es wenig Sinn hatte,
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