Sturm auf mein Herz
zu behalten.
»Du kennst die Maße des Raums«, beharrte sie.
»Echt?«
»Überleg doch mal. Wie lang ist der Raum? Nicht in Zentimetern, sondern als würdest du ihn einem Freund beschreiben.«
Stirnrunzelnd schob er ein dickes Stück Schlange beiseite, das ein Diagramm in seinem Mathebuch verdeckte.
»Zweimal so lang wie breit?«, fragte er schließlich unschlüssig.
»Gut!«
»Ja, aber die wollen das doch in Zentimetern.«
»Nur Geduld, kommt schon noch. Also, wenn du - brems dich, Tiger.«
Sie packte Stups am Kragen. Die Katze schlug mit eingezogenen Krallen nach einem vorbeigleitenden Stück Boa.
»Wenn du die Breite als X bezeichnest - Schluss damit, Stups! -, wie würdest du dann die Länge bezeichnen?«, fragte sie.
»Zweimal X?«
»Fast.«
»Ah ja, zwei X, wie in Aufgabe drei.«
»Genau!«
Aufregung erhellte Billys junge Züge. »Dann ist die Fläche also X mal zwei X, stimmt’s?«
»Jawoll.«
Er grinste sie stolz an und beugte sich dann über sein Aufgabenheft.
Sie hielt Stups fest und sah zu, wie sich der Junge begeistert über seine Aufgabe hermachte. Er schrieb, ohne zu zögern, und radierte selten einmal etwas. Sobald er kapiert hatte, dass »X« für alles stehen konnte, hatte er keine Hemmungen mehr, dieses Wissen zu benutzen.
Wie Shelley vermutet hatte, besaß er einen flinken Verstand und eine rasche Auffassungsgabe, obwohl es anfangs ein Kampf gewesen war, ihn dazu zu bewegen, seinen Verstand für etwas Konstruktiveres als nur Sturheit und Ausflüchte zu gebrauchen.
Zu Billys Überraschung stellte sich jedoch heraus, dass Shelley mindestens genauso stur sein konnte wie er und einen ebenso flinken Verstand besaß.
Die Gegensprechanlage summte.
»Das wird deine Mutter sein«, sagte Shelley. »Geh ruhig rauf, und lass sie rein.«
Squeeze rutschte wie ein mehrfacher Fahrradschlauch vom Schoß des Jungen, als dieser auf die Füße sprang. Die Schlange machte spornstreichs Anstalten, sich davonzuwinden, auf der Suche nach einem neuen warmen Plätzchen.
Billy drückte auf den Sprechknopf der Anlage und öffnete gleichzeitig. »Komm rein, Mutter, es ist offen. Wir kommen rauf, sobald mir Shelley bei der letzten Matheaufgabe geholfen hat und Squeeze wieder in seinem Terrarium steckt.«
Damit warf er sich mit der für Kinder typischen fohlenhaften Grazie auf den Boden.
Shelley starrte ihn überrascht an. Es wunderte sie, dass er nicht hinaufrannte und seine Mutter begrüßte. Schließlich hatte er JoLynn seit sechs Tagen nicht mehr gesehen.
»Ich kann warten, bis du ihr Hallo gesagt hast«, meinte Shelley leise.
»Ach, das ist ihr eh egal«, erwiderte Billy zerstreut.
Auf den Knien, den Kopf auf die Hand gestützt, hockte er über sein Mathebuch gebeugt. Stirnrunzelnd versuchte er die nächste Algebra-Aufgabe zu knacken.
Stups, die Körperwärme ebenso zu schätzen wusste wie jede Schlange auch, kuschelte sich sofort unter den Bauch des Jungen, dort, wo vorhin noch Squeeze residiert hatte. Das machte Billy das Schreiben zwar nicht gerade leichter, aber er beschwerte sich nicht. Immerhin hatten er und Stups sich in den letzten sechs Nächten die Koje geteilt.
Aus den Augenwinkeln sah Shelley, dass Squeeze Anstalten machte, sich an ihrem Schrank hochzuziehen. Sie streckte den Arm aus, packte das dünne Ende der Schlange und zog das unternehmungslustige Reptil vorsichtig wieder über den Teppich zu sich zurück.
Squeeze wandte den Kopf und blickte sie über seine nichtexistierende Schulter an, machte jedoch keinerlei Anstalten zu flüchten. Sobald sie losließ, umschlang das Tier ihr Handgelenk und versuchte nun, sie zum Schrank zu zerren. Als das nicht funktionierte, beschloss die Boa, ebenso gut auch an Shelleys Arm hochklettern zu können.
»Vergiss es, Schlange«, sagte Billy, ohne aufzublicken. »Sie hat mehr X drauf als du.«
Stups tatzte nach dem so verlockend dicht vor ihrer schwarzen Schnauze übers Blatt ruckelnden Stift.
»Mieze, du wirst allmählich zur reinsten Pest«, sagte er, klang dabei jedoch eher zerstreut als ärgerlich. »Shelley?«
»Hmm?« Shelley schälte gerade Squeeze von ihrem Hals, bevor er es sich dort gemütlich machen konnte.
»In der nächsten Aufgabe fehlt was.«
Sie streckte sich der Länge nach auf dem Bauch aus, um das Rechenproblem näher in Augenschein nehmen zu können. Billy drehte ihr das Schulbuch zu, damit sie mitlesen konnte.
Squeeze und Stups fanden sich unversehens Schnauze an Schnauze über einem aufgeschlagenen Mathebuch
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