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Sturm der Barbaren

Titel: Sturm der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L. E. Modesitt
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das wenige, das ihm sein Vater erzählte. Worauf er sich dazu veranlasst sah, heimlich in den Büchern seines Herrn und Gebieters zu stöbern. Lorn wartet, denn er spürt, dass Brevyl wirklich die Wahrheit spricht, und hofft, dass der Major noch mehr zu sagen weiß.
    »Das ist alles, Hauptmann.« Brevyl steht auf und reicht ihm die Schriftrolle. »Ihr könnt morgen aufbrechen oder auch übermorgen, wie Ihr wollt. Ihr seid von den Patrouillen freigestellt, ab sofort.«
    Lorn steht schnell und anmutig auf und nimmt die Rolle entgegen. Er verneigt den Kopf. »Ja, Ser. Danke für alles, Ser.«
    »Und, Hauptmann?«
    »Ser?«
    »Ich habe nichts gesagt. Ich habe Euch nur die Befehle übergeben und Euch alles Gute gewünscht bei Major Maran. Er beherrscht sein Handwerk.«
    »Ja, Ser.« Lorn verneigt sich erneut. »Ja, Ser.«
    Brevyl blickt Lorn ungerührt nach, der die alte Tür aus Weißeiche öffnet, welche bestimmt auf die Zeit von Kaiser Alyiakal zurückgeht.
    Draußen im schmalen Gang vor der Amtsstube des Majors winkt er Kielt mit der Schriftrolle in der Hand zu.
    »Wünsche Euch eine gute Reise und viel Erfolg, Ser«, ruft der Haupttruppenführer.
    »Danke, Kielt.« Langsam verlässt Lorn den Turm und tritt hinaus in den grauen Herbstnachmittag. Ein leichter Nebel schleicht sich aus den niedrigen Wolken herab und hinterlässt einen glänzenden Schein auf den Steinen des Innenhofes.
    »Maran«, murmelt Lorn vor sich hin, um sich den Namen einzuprägen. Brevyl hat ihn bewusst fallen lassen. Die Frage ist nicht, warum er das getan hat, sondern vielmehr, was er von Lorn erwartet – und Brevyl erwartet mit Sicherheit etwas von ihm. Aber Brevyl war schon immer so gewesen, er hat niemals auch nur am Rande erwähnt, dass Lorn vielleicht über magische Fähigkeiten verfügen könnte. Die Spiegellanzenkämpfer sind im Grunde froh darüber, denn sie können von diesen Fähigkeiten nur profitieren, aber niemals würden sie – nicht einmal im positiven Sinn – ein Wort darüber verlieren. Das versteht Lorn nur zu gut.
    Nachdem er einige Sekunden im nebligen Hof gestanden hat, macht sich Lorn auf den Weg in die Offiziersunterkünfte.

 
XLI
     
    L orn faltet die dicke Wintertunika und legt sie aufs Bett neben die anderen Uniformen, die er schon zusammengelegt hat, bevor er alles zusammen in die Reisetaschen packt.
    Er hebt die eine Untertunika hoch und da blinkt ihm etwas Grünes entgegen; er nimmt das in Silbergrün gebundene Buch in die Hand. Langsam blättert er durch die Seiten, in denen er schon so lange nicht mehr gelesen hat. Hat der ehrwürdige Schreiber vielleicht irgendetwas über die Versetzung von einem schrecklichen Außenposten zu einem anderen, noch ärgeren geschrieben? Er kräuselt die Lippen, als ihm die nächste Frage in den Sinn kommt: Warum schreibt in Cyad niemand Gedichte? Lorn runzelt die Stirn. Er kann sich nicht daran erinnern, dass er jemals ein geschriebenes Gedicht gesehen hätte, bevor er Ryalth kennen lernte – obwohl er natürlich wusste, was Verse sind. Ein Vers fällt ihm ins Auge und er liest ihn mit leiser, kaum hörbarer Stimme.
     
    Frag nicht, welche Glocke erklang,
    ob der stille Gott des Waldes sang.
    Sieh die weißen Turmmauern,
    in Stolz erbaut, hoch in der Sonne sie dösen,
    bis die neuen grün-blutigen Flüsse fließen
    in die dämmernde Nacht, in der das Chaos kauert.
     
    Lorn fragt sich, wie und warum Chaos wohl irgendwo kauern sollte, und er zuckt zusammen bei dem Gedanken; dann blättert er weiter, bis er zu einem kurzen Vers kommt, der allein auf einer Seite steht und vom Lächeln handelt. Vielleicht … Er liest:
     
    Ein Lächeln ist so zerbrechlich
    wie ein Bild auf dem Wasser des Seins,
    Spiegelung ist nur möglich
    durch die schwarze Tiefe darunter.
     
    Was er da gerade gelesen hat, ist eigentlich gar kein Gedicht. Und doch … verbirgt sich hinter einem Lächeln nicht oft eine Tiefe, die niemand sehen möchte?
    Poesie wird ihm im Verwunschenen Wald nicht weiterhelfen und ihn auch nicht schneller nach Cyad und zu Ryalth bringen. Er schließt das Buch und legt es zwischen die Unterwäsche in die Tasche.

 
XLII
     
    I m orangefarbenen Licht der Morgendämmerung in Syadtar steht Lorn neben einer der kannelierten weißen Säulen, die das Dach stützen, unter dem die Reisenden Schutz finden; sie warten auf die Feuerwagen, welche die abgelegenen Städte in Cyador miteinander verbinden. Die von Chaos angetriebenen Fahrzeuge rollen über die glatten Steinstraßen vom warmen

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