Sturm der Herzen
lächeln. Sein Cousin Julian äußerte gerne seine Ansicht, dass eine Armee auf Eroberungszug mit weniger Gepäck auskäme, als Tante Barbara für ein paar Monate in London mit sich führte. Marcus neigte dazu, ihm beizupflichten.
Auch wenn er wusste, weshalb sie die Vergnügungen Londons hinter sich gelassen hatte und nach Hause zurückgekehrt war, war er doch ein wenig überrascht von ihrer unerwarteten Ankunft. Seine Mutter reiste gewöhnlich nie ohne bewaffnete männliche Begleitung, war überzeugt, dass hinter jedem Baum am Straßenrand Diebe und Räuber lauerten. Marcus hatte sich halb damit abgefunden, jeden Moment einen Brief von ihr zu erhalten, in dem er nach London bestellt wurde, um ihre sichere Heimreise zu gewährleisten. Dass sie das nicht getan hatte, sondern die Reise ohne ihn gemacht hatte, war erstaunlich und warf die Frage auf, ob sie seinen ständig wiederholten Versicherungen endlich doch Glauben schenkte, dass kein Straßenräuber, der etwas auf sich hielt, es wagen würde, so eine Kavalkade aufzuhalten.
Das Rätsel der plötzlichen Unerschrockenheit seiner Mutter löste sich jedoch, als er einen hochgewachsenen, modisch gekleideten Gentleman entdeckte, der sich gerade aus dem Sattel eines schwarzen Pferdes schwang. Sie hatte jemanden als Eskorte gefunden. Marcus betrachtete den Mann und runzelte die Stirn. Bis auf das schwarze Haar, das sich unter dem Biberhut wellte, konnte Marcus wenig erkennen. Er schien ihm ein Fremder zu sein, aber irgendwie war er ihm auch vage vertraut; er hatte schmale Hüften und breite Schultern.
Während er noch damit beschäftigt war, das Rätsel der Identität des Fremden zu lösen, ging er zur Reisekutsche. Er und der Fremde erreichten sie zur selben Zeit, und der andere grinste breit. Marcus blieb stehen, als habe ihn der Schlag getroffen. Er erkannte den Mann immer noch nicht, seine Züge hingegen hätte er überall wiedererkannt: bis auf die unterschiedliche Augenfarbe wies das Gesicht des anderen eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zu dem auf, das Marcus jeden Morgen im Rasierspiegel sah. Der Mann war eindeutig ein Weston. Er hatte dasselbe schwarze Haar, dieselben kühnen Züge, ja sogar die dichten schwarzen Brauen, tiefliegenden Augen und das energische Kinn, den breiten Mund. Nur die Nase war etwas größer, doch die dunkle, fast ins Oliv spielende Gesichtsfarbe war eindeutig Weston. Ihm sank das Herz. Hatte sich seine Mutter mit einem der unehelichen Kinder des alten Barons angefreundet?
Mit einem breiten Grinsen sagte der Fremde: »Du erkennst mich nicht wieder, nicht wahr? Das überrascht mich nicht; ich bezweifle, dass wir uns mehr als ein halbes Dutzend Mal gesehen haben - und dann immer nur kurz. Ich bin Jack Landrey.«
»Tante Marias ältester Sohn?«, fragte Marcus erstaunt. »Der in der Armee war?« Jack nickte, und als sie sich die Hände schüttelten, sagte Marcus: »Habe gehört, dass du in Ägypten angeschossen wurdest. Am Bein, nicht wahr? Bei der Schlacht um Alexandria 1801.«
»Keiner der schöneren Momente meines Daseins, das lass dir versichern«, antwortete Jack mit einem Lächeln.
Marcus erwiderte es und erklärte: »Das kann ich mir vorstellen. Aber warte, das war nicht das einzige Mal, dass du verwundet wurdest, oder? Habe ich nicht von irgendwem gehört, dass du beim Kampf auf den Westindischen Inseln beinahe einen Arm verloren hättest?«
Jack zuckte die Achseln. »Ja, aber das verdammte Inselfieber war fast schlimmer.«
Neugier veranlasste Marcus zu der Feststellung: »Scheint mir, als erinnerte ich mich vage auch noch, dass du letztes Jahr bei Kopenhagen eine Verletzung davongetragen hast.«
Jack schüttelte den Kopf und gestand fast verlegen: »Bei dem Anlass war es ein Pferd, das mir Kummer bereitet hat. Das blöde Vieh hat mich mitten in der Schlacht abgeworfen, sodass ich mir bei dem Sturz das Bein gebrochen habe.« Er schnitt eine Grimasse. »Danach entschied ich, dass mir das Schicksal vielleicht etwas zu sagen versuchte. Ich habe also mein Offizierspatent verkauft und bin heimgekehrt. Im Januar bin ich in England angekommen.«
»Was dein Cousin völlig zu erwähnen vergisst«, meldete sich Marcus’ Mutter Barbara aus der Kutsche zu Wort, als er die Tür öffnete und sich anschickte, ihr beim Aussteigen zu helfen, »ist, dass er nicht länger einfach Mr Jack Landrey ist, sondern nunmehr Lord Thorne, Viscount Thorne.«
Jack lachte. »Tut mir leid, das war mir entfallen.«
»Kürzlich geerbt?«, erkundigte sich
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