Sturm der Verfuehrung
er im Gehen seine Handschuhe abstreifte. Jetzt schaute er auf, sah Sarah und Sinclair vor dem Salon stehen - und erstarrte. Doch schon in der nächsten Sekunde hatte er sich gefasst und kam mit seinem unverbindlichen Lächeln auf sie zu.
Wie hatte sie dieses Lächeln jemals charmant finden können?
»Malcolm.« Charlie streckte dem Besucher die Hand hin. »Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe - ich war bei einem meiner Pächter.« Noch immer lächelnd, wandte er sich ihr zu. »Meine Liebe, Malcolm und ich haben allerhand zu besprechen. Ich fürchte, du würdest dich in unserer Gesellschaft langweilen. Könntest du uns etwas zu essen bringen lassen? Wir gehen in die Bibliothek.«
Er neigte kurz den Kopf und bedeutete Sinclair, ihn zu begleiten.
Aber Sinclair reagierte nicht sofort. Er schaute Sarah an und verbeugte sich dann. »Ich danke Ihnen für Ihre Zeit, Lady Meredith.«
Sarah neigte höflich den Kopf. Als sie Sinclairs Blick begegnete, las sie zu ihrer Überraschung Verständnis und ein gewisses Mitgefühl darin - und sie spürte Charlies Befremden ob ihres Blickaustausches.
Als Sinclair sich abwandte, schaute sie Charlie einen Moment lang in die Augen, drehte sich um und ließ sich von ihren Füßen in den Salon tragen, ohne sich umzusehen.
In der Mitte des Raumes blieb sie stehen, holte tief Luft und hielt sie an.
Sie würde in Sinclairs Gegenwart unter keinen Umständen jemals die Beherrschung verlieren.
Zwei Abende später lag Sarah mit dem Gesicht zum Fenster und bis zum Hals zugedeckt im Bett, als Charlie das nur vom schwachen Schein des schon weit heruntergebrannten Kaminfeuers erhellte Schlafzimmer betrat.
Es war schon spät, und draußen brauste der Wind.
Sie rührte sich nicht und biss sich auf die Unterlippe, um die unklugen Worte zurückzuhalten, die ihr auf der Zunge lagen. Sie wollte Charlie sagen, was sie dachte, was sie empfand - ihn anschreien, wie dumm sie seine momentane Taktik fand -, aber was könnte sie damit erreichen? Absolut nichts, denn er war ebenso starrsinnig wie sie. Wenn sie ihre Vorstellung von einer Ehe durchsetzen wollte, würde ihr nur eine List dazu verhelfen, nicht Zorn. Und auch kein Flehen.
Flehen kam ohnehin nicht in Frage, wie schlimm es auch kommen mochte.
Am Morgen hatte sie eine Nachricht neben ihrem Frühstücksteller vorgefunden. Von Charlie. Er würde den Tag in Watchet bei Mr Sinclair verbringen, um mit ihm über den lokalen Handelsschiffsverkehr und den Lagerhausbetrieb zu sprechen.
Sie hatte minutenlang auf den Zettel hinuntergestarrt und sich
gefragt, warum Charlie diese immerhin den ganzen Tag beanspruchende Verabredung nicht schon am Abend zuvor erwähnt hatte. Schließlich hatte sie die Nachricht mit einer Grimasse beiseitegelegt und - der Appetit auf Frühstück war ihr vergangen - ihren Tag begonnen. Allein.
Nachmittags schaute Mrs Duncliffe vorbei. Da die Frau des Reverends sie nicht nur sehr gut kannte, sondern auch auf freundschaftlichem Fuß mit ihrer Mutter stand, zwang Sarah sich, die glückliche junge Ehefrau zu spielen. Als Mrs Duncliffe endlich gegangen war, hatte Sarah Kopfschmerzen.
Glücklicherweise würden die anderen Ladys aus der Umgebung mit ihrem Besuch bis zur folgenden Woche warten, wie es der Brauch war - für die Frau des Pfarrers galt diese Regel nicht.
Ungewöhnlich und unerklärlich erschöpft, hatte Sarah sich zu einem kleinen Nachmittagsschlaf hingelegt. Als sie aufwachte, war das Licht weicher geworden und der Wind heftiger - und dann hatte sie Charlies Schritte auf der Terrasse unterhalb des Schlafzimmerfensters gehört. Noch nicht ganz wach, hatte sie sich gefragt, ob er sie in ihrem Wohnzimmer wähnte und, wenn er sie dort nicht fände, heraufkommen würde.
Natürlich hatte er das nicht getan.
Er hatte sich in die Bibliothek begeben und war erst kurz vor dem Abendessen wieder herausgekommen. Das Abendritual war das gleiche geblieben. Sie hatte ihn darum gebeten, und er hatte ihr erzählt, was er in Watchet gemacht hatte, dass er und Sinclair sich mit einigen Kaufleuten und Agenten getroffen hätten und außerdem mit dem Stadtrat, um über ihre Vorstellungen bezüglich der wirtschaftlichen Zukunft der Stadt zu sprechen. Später hatte er gelesen und sie gestickt, und schließlich war sie allein die Treppe zum Schlafzimmer hinaufgestiegen.
Sarah war, als spannte sich eine Eisenklammer um ihre Brust. Er schien wirklich entschlossen zu sein, seine Liebe zu ihr außerhalb dieser vier Wände zu verleugnen.
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