Sturm der Verfuehrung
Reaktion auf ihren Kummer war ihr ebenso wenig entgangen wie seine bewusste Unterdrückung derselben. Ja, er liebte sie, aber er weigerte sich - weigerte sich -, es tagsüber erkennen zu lassen.
Sarah hätte sein Verhalten als weiteres Zeugnis seines Starrsinns abtun können, wenn es nicht ausgerechnet Tante Ediths Tagebuch gewesen wäre, das verschwunden war.
Der Verlust tat ihr in der Seele weh. Edith war viel mehr für sie gewesen als eine Tante - sie war ein ganz besonderer Mensch gewesen, ein Mensch, der sie verstanden, ihr so viel beigebracht, sein Wissen mit ihr geteilt und ihr kostbare Ratschläge gegeben hatte. Es war Edith gewesen, die ihr die Augen für das Leben geöffnet hatte - und damit auch für die Liebe.
Dieser letzte Punkt veranlasste sie, sich eine Frage zu stellen: Wenn Edith und ihre Einsichten nicht gewesen wären - hätte sie, Sarah, Charlie dann auch geheiratet?
Draußen rannte der Wind gegen die Fenster an, als wollte er sich den Weg ins Haus erzwingen. Sarah schauderte und zog die Decke noch höher hinauf. Sie schloss die Augen und versuchte, sich von dem Schmerz in ihrer Brust abzulenken.
Im Moment kam ihr Leben ihr so finster vor wie die stürmische Nacht da draußen, aber morgen früh würde es wieder hell werden, und sie sagte sich, dass auch in ihrer Ehe irgendwann die Sonne aufgehen würde. Doch im Augenblick war sie so enttäuscht von Charlie und so bekümmert über den Verlust des Tagebuchs, dass ihr nicht der Sinn nach Leidenschaft stand. Und so blieb sie, als Charlie hereinkam, mit dem Rücken zu ihm liegen und tat, als schliefe sie.
Als er eine Weile später zu ihr unter die Decke schlüpfte, achtete sie darauf, ihre Muskeln nicht anzuspannen und ruhig und gleichmäßig zu atmen - und ihre Wut zu unterdrücken, die sich immer wieder Gehör verschaffen wollte.
Wenn Charlie nach ihr griffe, sie auch nur berührte, dachte Sarah, wäre es sehr gut möglich, dass sie ihn schlüge.
Aber er näherte sich ihr nicht. Statt einer Berührung spürte sie seinen Blick. Das einzige Geräusch im Raum war das hypnotische Ticken der Kaminuhr.
Schließlich ließ Charlie sich mit einem Seufzer auf den Rücken fallen. Seine Atemzüge wurden langsamer, regelmäßiger, und Sarah glaubte, dass er eingeschlafen war.
Was du kannst, kann ich auch, dachte sie und versuchte, es ihm nachzutun.
Charlie starrte zu dem dunklen Betthimmel hinauf und fragte sich, was in aller Welt er tun sollte. Er wusste, dass Sarah nicht schlief, doch so, wie die Dinge zwischen ihnen standen, bei diesem eisigen Schweigen, war er unfähig zu handeln.
Hilflos.
Er wollte sie trösten. Aber er wusste nicht wie.
Oder war vielleicht nicht sicher, noch das Recht dazu zu haben.
Dabei hatte sein Instinkt ihn dazu gedrängt, sie zu trösten, gegen die Zügel aufbegehrt, die er, Charlie, so straff hielt, um sich nicht in der Öffentlichkeit hinreißen zu lassen, als er unten im Wohnzimmer bemerkt hatte, wie verstört Sarah war. Hier in der Sicherheit ihres gemeinsamen Schlafzimmers wollte er seinen Gefühlen die Zügel schießen lassen, aber er wusste nicht, ob sie das noch wollte.
Nachdem Sinclair ihr gegenüber das Kaufangebot für das Waisenhaus erwähnt hatte, nahm er sich vor, abends die Sprache darauf zu bringen und die Kränkung wiedergutzumachen, die er, Charlie, Sarah durch sein Schweigen zugefügt hatte - aber er hatte nicht gewusst, wie.
Er fühlte sich zerrissen, als hätte ein primitiver, aber lebenswichtiger Teil von ihm seiner Vernunft den Krieg erklärt - und damit der Vorsicht und Taktik, die seine Selbsterhaltung gewährleisteten, dem vom Verstand und nicht vom Instinkt gelenkten Verhalten.
Und er sah keine Möglichkeit, diesen Konflikt zu einem akzeptablen Ende zu bringen.
Nicht für sie.
Und auch nicht für sich.
Er wusste, dass sie seine Art, diese Ehe zu führen, nicht billigte, doch es gab keine Alternative für ihn. Sollte er eine entdecken, würde er sich auf der Stelle dafür entscheiden.
Denn auch ihm gefiel nicht, was aus ihrer Ehe geworden war, dieser Morast aus Schmerz und Kränkungen, in den seine Methode sie beide geführt hatte.
15
Sarah wehrte sich dagegen aufzuwachen. Es war so behaglich, von den starken Armen umfangen dazuliegen ...
Sie öffnete die Augen und atmete langsam und unauffällig ein. Sie lag halb auf Charlie, die Wange auf seiner behaarten Brust. Ihr zartes, grünes Nachthemd war hochgerutscht, und ihre und seine nackten Beine waren inmitten der zerwühlten Laken
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