Sturm der Verfuehrung
zwang sich zu einem Lächeln. »Worum es sich auch handelte - ich werde es erfahren, wenn ich morgen dort bin. Da Mrs Carter nicht um Hilfe bittet, nehme ich an, dass dies lediglich zu meiner Information gedacht ist.«
»Ohne Zweifel, Ma’am. Wie es sich gehört, Ma’am.«
Sarah sah ihn scharf an, doch Crisp trug seine übliche Butlermiene zur Schau, und da er damit beschäftigt war, überall im Zimmer die Kerzen anzuzünden, konnte sie nicht in seinen Augen lesen.
Er beugte sich vor, um die Lampe auf dem Beistelltisch anzuzünden. Als der Docht stetig brannte, drehte Crisp sich Sarah zu und verbeugte sich. Dann richtete er sich auf und sagte zu einem Punkt über ihrem Kopf: »Mrs Figgs und ich ... nun, wie die Dinge sich entwickelten, hatten wir keine Gelegenheit, Sie in der für eine neue Countess auf Morwellan Park traditionell üblichen Weise willkommen zu heißen. Allerdings wäre es überflüssig gewesen, Ihnen das Personal vorzustellen, da Sie uns alle bereits kannten. Dennoch«, er richtete sich zu seiner vollen beeindruckenden Größe auf, »möchten Mrs Figgs und ich und der gesamte Stab Ihnen unser herzlichstes Willkommen entbieten und unserer Hoffnung Ausdruck verleihen, Ihnen viele Jahre dienen zu dürfen.«
Sarah blinzelte ihre Tränen zurück. »Ich danke Ihnen, Crisp.« Leise fügte sie hinzu: »Bitte richten Sie Mrs Figgs und dem Personal aus, dass ich ihre guten Wünsche und ihre Bereitwilligkeit, mir zu dienen, zu schätzen weiß.«
»Sehr wohl, my Lady.« Der Butler verneigte sich tief, drehte sich um und ging.
Sarah ließ sich auf die Chaiselongue sinken. Noch eine unerwartete Unterstützung. Sie dachte zurück. Crisp hatte seit ein paar Tagen immer wieder besorgte Blicke in ihre Richtung geworfen. Ebenso Figgs. Sie mussten gemerkt haben, dass ... wie hatte Sinclair es ausgedrückt? Ah ja - dass es zwischen ihr und Charlie Spannungen gab.
Sie hätte sich denken können, dass es den Dienstboten auffallen würde. Die Sympathieerklärung zeigte, dass sie auf ihrer Seite standen - offenbar fanden auch sie Charlies Zurückhaltung ihr gegenüber befremdlich.
Augenscheinlich war der Einzige, der sie als recht und billig betrachtete, Charlie selbst.
Sie war versucht, den Stier bei den Hörnern zu packen, aber die Vernunft sagte ihr, dass sie damit nichts erreichen würde. Nicht jetzt. Nicht heute Abend.
Sie ballte ihre Hand zur Faust, und das Knistern von Papier darin lenkte ihren Blick auf Katys Nachricht. Sie war verwirrend und beunruhigend, aber Katy war eine erfahrene, tüchtige Person. Wenn sie Unterstützung benötigte, hätte sie darum gebeten.
Morgen war Montag, und Sarah würde wie üblich zum Waisenhaus reiten. Sie hatte vor, den ganzen Tag dort zu verbringen.
Das wäre besser, als den ganzen Tag hier zu verbringen. Allein.
Die Uhr schlug zur vollen Stunde. Sarah blickte auf, erhob sich und ging zum Sekretär. Sie hatte sich angewöhnt, die Klappe offen zu lassen - schließlich war dies ihr Privatzimmer. Sie faltete das Papier wieder zusammen und stellte es in das Fach mit den Waisenhausunterlagen. Nach einem letzten Blick durchs Zimmer machte sie sich seufzend auf den Weg nach oben. Vielleicht könnte ein heißes Bad ihre innere Unruhe vertreiben.
Das Tagebuch ihrer Tante Edith war verschwunden.
Als Sarah später an diesem Abend wieder vor dem offenen Sekretär stand, starrte sie verständnislos auf den leeren Platz. Nach einem größtenteils schweigsamen Abendessen hatten Sarah und Charlie sich, wie es ihnen zur Gewohnheit geworden war, in Sarahs Wohnzimmer zurückgezogen. Charlie hatte sich in den Sessel am Kamin gesetzt und in einen Text über Maschinenbau vertieft, und Sarah, des ständigen Flickens müde und auf der Suche nach Ablenkung, hatte beschlossen, sich die Notizen ihrer Tante vorzunehmen. Aber das Fach, in dem das Buch gestanden hatte, war verwaist. Sarah überflog die anderen Fächer des Sekretärs, doch von nirgendwo schimmerte ihr Silber entgegen.
Sie runzelte die Stirn und fuhr mit dem Finger senkrecht an dem leeren Fach entlang. »Aber ich weiß, dass ich es da hingestellt habe.«
Das war an dem Tag gewesen, als sie sich in diesem Zimmer heimisch gemacht hatte. »Wo in aller Welt kann es hingekommen sein?«
Und wie war es verschwunden? Vielleicht hatte eines der Dienstmädchen es anderswo eingeordnet. Sarah durchsuchte die Schubladen. Nichts. Sie blickte um sich. Der Beistelltisch hatte ebenfalls eine Schublade. Darin fand sie Kerzen und Kienspane, aber
Weitere Kostenlose Bücher