Sturm der Verfuehrung
die Terrasse entdeckte Sinclair plötzlich Sarah. Er zögerte, schaute zur Bibliothek, ging die Stufen hinunter und mit großen Schritten auf Sarah zu.
Überrascht blieb sie stehen und wartete. Wie Charlies war auch Sinclairs Miene für gewöhnlich undurchdringlich, ließ kaum jemals einen Gedanken erahnen, geschweige denn ein Gefühl, aber seit Sarah mit Charlie zusammen war, hatte sie sich angewöhnt, anderswo nach Hinweisen zu suchen.
Als der Besucher bei ihr anlangte, stellte sie verwirrt fest, dass er sich bemühte, eine heftige Verärgerung zu zügeln. »Lady Meredith, ich möchte Sie informieren, dass ich mich nach meinem Fauxpax von vorhin gezwungen sah, diesen Seiner Lordschaft gegenüber zu erwähnen.«
Sarahs Brauen schnellten in die Höhe.
»Es schien ihm nicht das Geringste auszumachen, dass ich es Ihnen erzählt hatte, aber ich ...«, Sinclair hielt inne, schöpfte Atem und fuhr fort: »Kurz gesagt, der Mangel an Achtung für Sie, der daraus spricht, dass er Sie nicht über das Kaufangebot für das Waisenhaus informierte, hat mich sehr enttäuscht.«
Sarah bemühte sich, das Gefühl zu deuten, das aus seinem Blick und seinem Ton sprach - und war sehr erstaunt, als sie es als Besorgnis erkannte.
Anscheinend aufrichtige Besorgnis.
»Natürlich habe ich keinerlei Erfahrung auf diesem Gebiet. Ich war nie verheiratet. Ich möchte nicht indiskret erscheinen, doch es ist mir nicht verborgen geblieben, dass es zwischen Ihnen und Charlie Spannungen gibt. Vielleicht ist das so kurz nach der Hochzeit ganz normal - wie ich schon sagte, ich kann es nicht beurteilen. Aber ich möchte mich in aller Form entschuldigen, falls ich zu diesen Spannungen beigetragen habe. Seien Sie versichert, dass das nicht in meiner Absicht lag.«
Beeindruckt von der Ernsthaftigkeit seiner Worte neigte sie den Kopf. »Ich danke Ihnen.« Ihr Blick ging an ihm vorbei zum Haus. »Ich ...« Sie zögerte und sagte dann: »Es wäre nicht ziemlich, Ihnen mehr zu offenbaren, aber ich weiß Ihr Verständnis zu schätzen.«
Sie blickten einander in die Augen. Keiner von beiden rührte sich. Schließlich sagte Sinclair: »Er ... ist mir sehr ähnlich. So fasziniert, wie er von allem ist, was Finanzen angeht, kommt er mir wie eine jüngere Ausgabe von mir vor.« Seine Mundwinkel zuckten. »Wie ich schon erwähnte, war ich nie verheiratet. Ich hoffe um seinetwillen, dass er ... zur Vernunft kommt - und erkennt, was er an Ihnen hat.«
Diese persönliche Bemerkung von einem Mann, den sie kaum kannte, machte Sarah sprachlos. Bevor sie sich so weit fassen konnte, eine Erwiderung zu finden, verbeugte er sich. »Auf Wiedersehen, verehrte Countess. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Bis zum nächsten Mal.«
Damit drehte er sich um, überquerte mit großen Schritten den Rasen, stieg die Stufen zur Terrasse hinauf und ging Richtung Stallungen.
Seltsam getröstet schlang Sarah wieder die Arme um sich, wandte dem Haus den Rücken zu und wanderte tiefer in den Rosengarten hinein.
Durch Sinclairs unerwartete Unterstützung ermutigt, erwog sie, Charlie die Leviten zu lesen, verwarf den Gedanken jedoch gleich wieder, denn angesichts seiner Anspannung bei der Verabschiedung seines Besuchers könnte sie sicherlich keine Geduld, geschweige denn Entgegenkommen von ihrem Ehemann erwarten.
Sinclair hatte es sicherlich gut gemeint, aber Charlie war Charlie -männlich-arrogant und, wenn er sich bedrängt fühlte, noch starrsinniger als gewöhnlich, und so war es höchst unwahrscheinlich, dass sie ihn jetzt zur Einsicht bringen könnte.
Die Last der Einsamkeit, von der Sinclair sie abgelenkt hatte, senkte sich wieder auf ihre Schultern und drückte sie nieder. Kälte breitete sich in ihr aus, ließ sie frösteln, und sie machte sich im blassen Licht des Spätnachmittags auf den Rückweg zum Haus.
Über die Terrasse begab sie sich wieder in ihr Wohnzimmer. Als sie gerade die Fenstertür geschlossen hatte, erschien Crisp mit einem Kienspan zum Anzünden der Kerzen und seinem Silbertablett, das er Sarah reichte. »Eine Nachricht, my Lady.«
»Danke, Crisp.« Sie nahm das Blatt Papier, faltete es auseinander, überflog die Zeilen und runzelte die Stirn.
»Gibt es ein Problem, Ma’am?«
Die Frage des Butlers riss sie aus ihren Gedanken. Sie schaute ihn an. »Nein ... ich bin nicht sicher.« Wieder blickte sie auf das Papier hinunter. »Mrs Carter vom Waisenhaus schreibt etwas von einem >Vorfall< in der letzten Nacht, aber sie geht nicht näher darauf ein.« Sarah
Weitere Kostenlose Bücher