Sturm der Verfuehrung
ich bei der Bekämpfung des Brandes half.«
Auf Jennings’ Gesicht malte sich eine Mischung aus Verblüffung, aufkeimendem Misstrauen und beginnender Angst.
Malcolm ließ seinen Blick nicht los. »Ich wurde Zeuge nicht nur der Aufopferung des Personals, sondern auch der Hilfsbereitschaft aller aus der Gegend. Ich sah nicht nur, welch große Bedeutung das Waisenhaus für die Countess hatte und welch schieres Entsetzen unsere Aktion hervorrief, sondern auch, wie der Earl, trotz seiner ablehnenden Haltung der Einrichtung gegenüber, um ihr Bestehen kämpfte. Ich war dort, Jennings, stand wie angewurzelt vor Angst, als Meredith und sein Freund ihr Leben riskierten, um zwei Säuglinge und ihre Kinderfrau zu retten. Und plötzlich begriff ich, was >noblesse oblige< bedeutet, was die Worte >Mut< und >Fürsorge< wirklich bedeuten.«
Malcolm unterdrückte den Drang, aufzustehen und auf und ab zu gehen, blieb auf der Schreibtischkante sitzen und hielt Jennings’ Blick unbarmherzig fest. »Bis ich hierherkam, glaubte ich nicht, dass es Mut, Selbstlosigkeit und all die anderen angeblichen männlichen Tugenden wirklich gibt. Ich war ihnen nie begegnet, aber nun wurden mir dank unseres neuesten Projekts und Ihrer Auslegung meiner Ratschläge zu Überredungsmethoden die Augen geöffnet.«
Eine langfingrige Hand auf dem Oberschenkel, die andere hinter sich auf dem Schreibtisch, sah Malcolm Jennings wachsam werden. »Zu wissen, wie viel Elend und Schmerz und Angst Sie damit verursacht haben, dass Sie meine Anweisungen in die Tat umsetzten, erfüllt mich mit einem Entsetzen, das bis in die Tiefe von etwas reicht, von dem ich vermute, dass es meine Seele ist. Ich habe nicht geahnt, dass ich Reue empfinden kann, aber ich empfinde sie - so stark, dass es beinahe körperlich schmerzt. Ich fühle mich - schuldig.« Nach einer kleinen Pause setzte er leise hinzu: »Und Sie, Jennings, sind ebenfalls schuldig.«
Jennings legte die Hände auf die Armlehnen des Stuhls und wollte sich hochstemmen, doch bevor er aufstehen konnte, versetzte Malcolm ihm mit dem kleinen Messingleuchter, den er zu diesem Zweck auf den Schreibtisch gestellt hatte, einen Schlag gegen die Schläfe. Aufstöhnend sackte Jennings bewusstlos zusammen.
Malcolm stand auf, holte das Seil, das er sich zurechtgelegt hatte, fesselte Jennings die Hände auf dem Rücken und band anschließend seine Füße zusammen. Dann zog er ein Taschentuch heraus und knebelte ihn.
Malcolm kehrte zu seinem Schreibtisch zurück, zündete die Lampe an und setzte sich in seinen Sessel. Er fragte sich, ob er Mitleid mit Jennings haben müsste, weil er ihn zu seinem Werkzeug gemacht hatte, doch dann verneinte er es. Er hatte damals auf den ersten Blick die gleiche Gewissenlosigkeit und Mitleidlosigkeit bei Jennings erkannt, die ihm - bis jetzt - zu eigen gewesen war. Wenn nicht als sein Handlanger, hätte Jennings ebenso wie sein, Malcolms, verstorbener und unbetrauerter Vormund Lowther, einen anderen Weg ins Verderben genommen.
Er legte ein frisches Blatt auf die Schreibunterlage vor sich, nahm den Federhalter zur Hand und klappte den Deckel des Tintenfasses auf. Als er die gespitzte Feder eintauchte, glitt sein Blick zu den drei ordentlich aufeinanderliegenden Briefen am Rand der Schreibunterlage, und Malcolm hielt inne.
Dann begann er mit verkniffenem Mund zu schreiben.
Die Briefe waren tags zuvor gekommen, als er Jennings gesucht hatte. Da er sie für unwichtig hielt, hatte er sie zunächst liegen lassen und erst vor einer Stunde geöffnet, als er auf Jennings wartete.
Drei hochgeachtete Londoner Anwaltskanzleien hatten ihn, jede für sich, davon in Kenntnis gesetzt, dass eine seiner Einmanngesellschaften - eine von denen, deren Geschäftsführer Malcolm Sinclair war - von den Behörden überprüft würde. Die jeweiligen Anwälte waren verpflichtet gewesen, sämtliche Dokumente und Berichte, welche die besagte Gesellschaft betrafen, herauszugeben. Drei Anwälte, drei Gesellschaften. Die Briefe waren vor vier Tage geschrieben worden.
Malcolm hatte gut zehn Minuten auf die Briefe hinuntergestarrt und sich zu erklären versucht, wie die Behörden auf die Idee gekommen waren, diese Gesellschaften zu überprüfen. Es geschah nichts Illegales dort, sie standen in keinerlei Verbindung zu den Grundstücksgesellschaften, deren er sich bedient hatte, um von der Eisenbahn zu profitieren. Außer ...
Es war, als führe ein Blitz durch ihn hindurch, als er den einzigen Makel seiner wundervollen
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