Sturm der Verfuehrung
frühester Jugend an in den Genuss der Vorzüge, die diese Stellung mit sich bringt. Natürlich beinhaltet sie Verantwortung, bietet aber auch Annehmlichkeiten nicht greifbarer Art. Nicht nur Status, sondern auch das Wissen, dass Sie gebraucht werden, dass Sie Veränderungen im Leben anderer bewirken können - Veränderungen, die geschätzt werden. Sie besitzen die Macht und die Fähigkeit, sie auszuüben und - wenn Sie sich dazu entschließen - das Leben vieler positiv zu beeinflussen. Sie können Menschen Erleichterung und Glück bescheren.«
Malcolm bohrte seinen Blick in Charlies Augen. »Aber bis vor Kurzem waren Sie nicht bereit, Ihre Zeit und Kraft solchen Wohltaten zu widmen. Um Ihretwillen hoffe ich, dass die Zerstörung des Waisenhauses da eine dauerhafte Wandlung bewirkt hat.«
Charlies Gesicht fühlte sich an wie taub. »Ihr Vermächtnis?«
Malcolms Mundwinkel hoben sich. Er neigte den Kopf. »Wenn Sie so wollen. Doch das Potenzial Ihrer Position als Earl ist der unwichtigere der beiden Punkte, auf die ich eingehen wollte.
Bevor ich verschwinde, möchte ich - denn niemand anders würde es jemals tun und niemand anders könnte es mit dem gleichen Verständnis tun - Ihnen sagen, dass Sie ein rettungsloser Narr sind, wenn Sie sich der Liebe verschließen und allem, was sie Ihnen zu geben hat. Wenn Sie nicht annehmen, was Sarah Ihnen schenken will.«
Charlie starrte ihn mit offenem Mund an. Er hätte nicht verblüffter sein können.
Malcolm lächelte ironisch. »Ja, das ist in der Tat kein Thema, das Gentlemen für gewöhnlich erörtern. Nichtsdestoweniger werde ich darüber sprechen, und Sie werden mir zuhören.« Er hielt Charlies Blick fest. »Es ist die Liebe, die dem Leben eines Mannes den Sinn gibt. Ohne die Liebe in ihren verschiedenen Erscheinungsformen ist es sinnlos, auch wenn Menschen wie ich sich gerne einreden, es wäre anders. Das habe ich jetzt begriffen. Mein Leben ist eine leere Hülle, die der leichteste Windhauch verwehen wird, wenn ich diese Erde verlasse.«
Sein Ton war ruhig und gelassen, doch unterschwellig schwangen Leidenschaft und Ernsthaftigkeit darin mit. »Ich habe nie nach Liebe gesucht, mich nie danach gesehnt, weil ich keine Ahnung hatte, was sie ist, geschweige denn, was sie für mich bedeuten könnte. Sie und Sarah zu beobachten hat mir die Augen geöffnet und mich das begreifen lassen. Das konnte nur durch Sie geschehen, denn aufgrund unserer unbestreitbaren Ähnlichkeit erkannte ich mich, wie ich sein könnte.«
Als Malcolm diesmal innehielt, spürte Charlie, dass sein Gegenüber in sich ging, kritisch den Menschen betrachtete, der zu sein er bekannt hatte. Dann war es, als schiebe er die Vision beiseite, und im nächsten Augenblick richtete er seinen Blick wieder auf Charlie.
»Den Zeitpunkt dafür habe ich verpasst - es ist zu spät für mich, ein neues Credo zu lernen -, aber Sie haben die Chance, für die ich, nun, da ich genug darüber weiß, um sie wertzuschätzen, töten würde.« Ungeduld flackerte über seine Züge. »Haben Sie eine Vorstellung, wie quälend es war mitzuerleben, wie Sie sich dagegen wehrten, die Ihnen auf einem Silbertablett dargebotene Liebe anzunehmen? Ihre Gleichgültigkeit, die Zurückweisung eines Geschenks, für dessen Besitz ich töten würde, war regelrecht... beleidigend. Sie hätten nur die Hand ausstrecken und es nehmen müssen, aber nein. Sie zauderten und zögerten anzunehmen, wofür ich, wäre es mir angeboten worden, alles gegeben hätte.«
Er kniff die Augen zusammen, schien Charlies Gedanken zu lesen. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Ja, ich beneide Sie - um alles -, aber ich weiß, dass es mir nicht zusteht. Nicht Sarah und was sie zu geben hat, und auch alles Übrige nicht. Ich überlasse es Ihnen - Ihr Leben und sein ganzes Potenzial - in der Hoffnung, dass Sie nach meinen Ausführungen jedes einzelne Geschenk seinem Wert entsprechend schätzen werden.«
Malcolm straffte sich, und auf eine geheimnisvolle Weise entstand der Eindruck, als trete er im Geist zurück. Nach einem Moment des Zögerns fuhr er fort: »Und vielleicht werden Sie, wenn dies alles vorüber ist und Sie sich an mich erinnern, auch daran denken, dass Malcolm Sinclair ein ganz anderer Mensch gewesen wäre, wenn ihm nur die Hälfte dessen geboten worden wäre, womit das Schicksal und so viele Menschen Sie verwöhnt haben. Seien Sie dankbar für Ihr Leben, nehmen Sie es an - und alles, was es für Sie bereithält.«
Genau das hatte Charlie vor.
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