Sturm der Verfuehrung
Wenn es auch nicht Malcolms bedurft hatte, um ihm bewusst zu machen, dass er vom Glück begünstigt war, so konnte er doch nicht leugnen, dass der Mann seinen, Charlies, früheren Mangel an Offenheit gegenüber der Liebe und der Bereitwilligkeit, sich den Verpflichtungen zu stellen, die mit seiner Stellung einhergingen, messerscharf erkannt hatte. Nur was die Beziehung zu Sarah anging, lag Sinclair nicht richtig, aber nur, weil Charlie es nicht für nötig gehalten hatte, ihn auf den neuesten Stand zu bringen.
Malcolm war in Schweigen verfallen. Anhand seiner eigenen, turbulenten Gefühle eine Ahnung davon gewinnend, wie verwundbar und verloren Sinclair sich fühlen musste, wie orientierungslos und unsicher auf den geistigen Beinen, bekundete Charlie mit einem kurzen Nicken, dass er verstanden hatte, und fragte dann: »Und was ist das Zweite, was ich tun muss, damit Sie Sarah gehen lassen?«
Das Lächeln, das daraufhin Malcolms Gesicht erhellte, war gleichzeitig unheimlich und hypnotisch.
»Das ist ganz simpel. Sagen Sie ihr, warum ich es tun soll.«
Charlie blickte in Malcolms haselnussbraune Augen, und der friedliche, beinahe zufriedene Ausdruck darin ließ ihn wieder - und diesmal ernsthaft - an der geistigen Gesundheit des Mannes zweifein. Er befeuchtete seine plötzlich trockenen Lippen. »Warum wollen Sie das?«
Sarah hatte die ganze Zeit aufmerksam zugehört, hin und wieder den Mund geöffnet - um ihn, Charlie, zu verteidigen, vermutete er aber dann doch geschwiegen, wofür er ihr im Stillen untertänigst dankte.
Doch nun las er in ihren Augen, dass auch sie sich nicht vorstellen konnte, worauf Malcolm hinauswollte.
Und ihm ebenso wenig traute wie er.
Sinclair seufzte. »Weil Sie die Worte noch nicht ausgesprochen haben, oder irre ich mich? Sie muss sie hören - und ich auch. Das ist meine letzte Bitte, mein Preis, wenn Sie so wollen. Sobald ich die Worte aus Ihrem Munde höre, werde ich wissen, dass Sie, wenn auch widerstrebend, wenigstens so weit gekommen sind.«
Charlie war schon viel weiter gekommen auf seinem Weg dazu, Liebe und das ganze Potenzial seines Lebens anzunehmen, als Malcolm wusste, aber obwohl er sich schon lange vorgenommen hatte, Sarah seine Liebe auch in Worten zu bekunden, missfiel ihm die Vorstellung, dass er sie, wenn Sarah sie das erste Mal hörte, unter Zwang ausspräche.
Das wollte er nicht - und er war sicher, sie ebenfalls nicht.
Doch wenn er damit ihre Freilassung bewirken könnte, würde er sagen, was immer Malcolm verlangte. Aber war Verlass auf die Zusage des Mannes? Sinclair hatte bekannt, ihn zu beneiden. Was, wenn Hass darunter schwelte? Und falls dem so war, wie weit vergiftete er ihn?
Hatte er seinen Geist angegriffen? Seine Willenskraft? Sein Gefühl für Anstand war, seiner eigenen Aussage nach, seit Anbeginn nicht besonders ausgeprägt.
Diese Gedanken und Überlegungen gingen Charlie durch den Kopf, während er gleichzeitig Last und Tragkraft, Aufprall und Wirkung bedachte, die er im Stillen berechnet hatte, während er pflichtschuldigst Malcolms Ausführungen lauschte.
Am Ende hing alles - Sarahs Leben und seines - von einer einzigen Handlung und einer einzigen Reaktion ab. Wenn er seine Liebe zu Sarah laut und deutlich in Worte fasste - was würde Sinclair tun?
Würde er sich an seine Zusage halten und Sarah gehen lassen? Und was dann?
Oder würde er, kaltblütig wie gewöhnlich, von Neid regiert, Charlie strafen, indem er ihm die Liebe, zu der er sich endlich durchgerungen hatte, auf die grausamste Weise entriss?
Wenn Malcolm wollte, konnte er Sarah um die Taille fassen und über das Sicherungsseil werfen, ehe Charlie auch nur auf der Brücke wäre.
Und wie Sinclair ausdrücklich betont hatte, wartete unten der sichere Tod.
Einmal abgesehen von allem anderen, allen Möglichkeiten und Betrachtungen - hatte Charlie genug Vertrauen in Malcolms geistige Gesundheit, um Sarahs Leben davon abhängig zu machen?
In ihren Augen las er, dass sie Sinclair nicht so weit vertraute. Angesichts dessen ...
Sein Zögern verärgerte Malcolm. »Sagen Sie die Worte einfach.« Ungeduld färbte seinen Ton. »Das ist meine letzte Tat, bevor ich gehe - ein rein altruistischer Akt. Aber bitte strapazieren Sie meinen uncharakteristischen Edelmut nicht über Gebühr.« Nach einer kurzen Pause setzte er hinzu: »Es wird Zeit - fangen Sie an.«
Charlie schaute wieder zu Sarah und sah seine eigene Frage - was ist das Beste? - in ihren Augen gespiegelt. Es konnte nur eine
Weitere Kostenlose Bücher