Sturm im Elfenland
ebenfalls in seine Lektüre.
Eine Weile später öffnete sich die Tür, jemand trat auf leisen Sohlen ein und setzte sich in Aindrus Lieblingssessel. Alana war ganz versunken in ihre Geschichte vom Prinzen mit den Löwenaugen, sie sah nicht auf, sagte nur: »Na?«, und las weiter.
Tee gluckerte in einen Becher. Papier raschelte. Erramun murmelte etwas vor sich hin. Eine Feder kratzte über Pergament. Es war still und friedlich, der Prinz mit den Löwenaugen heiratete endlich die Prinzessin mit der Nachtigallenstimme, Alana klappte das Buch zu, seufzte zufrieden und schaute auf.
»Wo bleibt Aindru?«, fragte Erramun im selben Moment, als Alana erkannte, dass es nicht ihr Bruder war, der ihr gegenübersaß, die Beine untergeschlagen und den Kopf tief über sein Buch gebeugt.
Sie verzog das Gesicht und sah Erramun wütend an. Der Lehrer erwiderte ihren Blick erstaunt und ein wenig belustigt.
Die Tür sprang auf und schlug gegen die Wand. »Hoppla«, sagte Aindru vergnügt und setzte hinzu: »Mutter bittet um Entschuldigung, dass sie mich so lange festgehalten hat.« Er wollte sich in seinen Sessel fallen lassen und runzelte ärgerlich die Stirn, als er ihn besetzt sah. »He«, sagte er, zuckte dann aber mit den Schultern und zog sich einen Stuhl heran. »Ist schon gut«, meinte er, als er Alanas aufgebrachte Miene sah. »Immerhin bin ich zu spät gekommen.«
Jetzt klappte Ivaylo sein Buch zu und sah Erramun an. Dass er ihren Blick offensichtlich mied, brachte Alana noch mehr auf. »He, du«, sagte sie.
Er wandte aufreizend langsam den Kopf und blickte sie an. Seine eishellen Augen musterten sie wie einen uninteressanten Gegenstand. »Redest du mit mir?«, fragte er.
Seine ausdruckslose Miene ließ Alanas Zorn hell auflodern.
»Du nimmst dir ein bisschen viel heraus, Betteljunge«, sagte sie scharf.
»Sonne«, murmelte Aindru besänftigend, aber Alana wollte sich nicht beruhigen lassen.
»Was willst du hier, wenn du uns alle so schrecklich findest? Wir haben dich nicht eingeladen. Warum gehst du nicht wieder dahin zurück, wo du hergekommen bist?«
Sie bemerkte trotz ihrer Wut, dass Ivaylo bei diesen Worten ihrem Lehrer einen vorwurfsvollen Blick zuwarf, den Erramun mit dem üblichen leisen Lächeln beantwortete.
»Also?«, fragte sie. »Warum gehst du nicht einfach?«
Ivaylo zuckte mit den Schultern. »Ich finde es hier ganz nett, Sonne«, erwiderte er voller Hohn.
Alana packte das Buch, das vor ihr auf dem Tisch lag, und hob die Hand, um es Ivaylo an den Kopf zu werfen.
»Halt«, sagte Erramun. Er sagte es leise, aber seine Stimme klang so klar und hallend wie ein ferner Gongschlag.
Alana warf das Buch achtlos zurück auf den Tisch und ballte ihre Hand in ihrem Schoß zur Faust. Sie zwang sich, den Blick von Ivaylos höhnischer Miene abzuwenden und ihren Lehrer anzusehen.
Alana erwartete, dass Erramun sie nun ermahnte. Sie schämte sich ein wenig wegen ihres Ausbruchs. Warum regte der fremde Junge sie nur so auf? Sollte sie ihn nicht einfach ignorieren, so wie er es mit ihr tat? Sie hob den Kopf und blickte Erramun herausfordernd an.
Doch ihr Lehrer legte die Fingerkuppen zusammen und tippte damit nachdenklich gegen sein Kinn. Er musterte die Geschwister und ließ seinen Blick dann etwas länger auf Ivaylo verweilen.
»Ich möchte etwas mit euch besprechen«, begann er schließlich. »Es betrifft euren Unterricht.« Er zögerte, schien nach Worten zu suchen. Alana durchfuhr ein eiskalter Schreck. Was, wenn er ihnen nun eröffnete, dass er sie nicht weiter unterrichten konnte? Aindru lernte sein Handwerk schließlich bei ihrer Mutter, und sie selbst hatte keine besondere Begabung, die es zu fördern galt. Erramuns eigentliche Aufgabe war die Pflege der Bibliothek. Vielleicht hatte Gondiar bestimmt, dass sein Bibliothekar sich nunmehr ganz auf seine Bücher zu konzentrieren hatte.
»Ich unterrichte euch jetzt schon eine recht lange Zeit«, fuhr Erramun fort und bestätigte damit Alanas Befürchtungen. »Ihr seid klug genug, euch selbst mithilfe der Bücher, die eurem Vater gehören, weiterzubilden. Als euer Lehrer bin ich inzwischen so gut wie nutzlos.«
Alana murrte, und auch Aindru ließ ein missbilligendes Brummen hören.
Erramun hob die Hand. »Halt, halt«, sagte er. »Hört euch doch bitte an, was ich zu sagen habe.«
Alana beugte sich vor. Sie bemerkte, dass Ivaylo die Augen zusammenkniff, als würde er von etwas Hellem geblendet. Erramun warf ihm einen flüchtigen Blick zu und fuhr dann
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