Sturm im Elfenland
sagte er. »Er gehörte meiner Mutter und davor ihrer Mutter, und nach mir würde er meiner Tochter gehören, wenn mir eine Tochter vergönnt gewesen wäre.« Er räusperte sich heftig. »Nun gut. Ich habe keine Kinder, aber immerhin eine Steinnichte. Auch wenn sie nicht ganz das ist, was ich mir vorgestellt hätte, habe ich recht?« Er musterte Alana finster.
Sie lächelte ihn unsicher an. »Das tut mir leid, Sverre Eisenhand.«
Er nickte und zuckte die Achseln. »Es ist, wie es ist. Ich lebe hier unter Fremden und nicht im Sorgenstein oder der Kronfeste, wo meine Freunde sind. Ich sehne mich nach den Bergen und dem Geruch eines neuen Stollens, nach den Klängen der Dudelsäcke und der Musik der Fäustel und Bergeisen im Fels. Ich vermisse die leisen Stimmen der Steine tief im Herzen der Erde. Hier gibt es nur weiche Erde und wachsendes Holz, und das lässt mein Herz nicht singen.« Er seufzte und schnäuzte sich geräuschvoll in ein großes Taschentuch.
»Du hast Heimweh, Sverre«, sagte Ivaylo mit so deutlichem Mitgefühl, dass Alana ihn ganz verwundert anblickte.
Der Zwerg schnäuzte sich ein weiteres Mal, dann steckte er energisch das Taschentuch in die Hose und beugte sich vor. Er berührte den Spiegel, den Alana immer noch hielt, vorsichtig am Rand. »Schau hinein, kleine Elfe«, sagte er. »Was siehst du?«
»Mich«, erwiderte Alana. »Und ein wenig vom Zimmer.«
Sverre nickte und blickte zu Ivaylo. »Gib mir die Kerze dort.«
Ivaylo reichte ihm das Gewünschte und faltete dann wieder die Hände unter dem Kinn. Sverre blies sacht auf den kalten Docht, und die Kerze flammte auf.
»Gut«, murmelte Ivaylo. Seine Augen musterten aufmerksam das Mienenspiel des Zwerges, der ganz versunken in sein Tun schien. Jetzt bewegte er seine Hand durch die Kerzenflamme und sprach leise grollende Laute dazu. Alana verstand mittlerweile ein paar Brocken Zwergisch und konnte einzelne Worte unterscheiden: »Stein« und »Flamme«, »Zeit« und »Wind«, »Auge« und »Schauen« ‒ aber sie verstand den Zusammenhang nicht.
»Nimm die Kerze«, befahl Sverre ihr unvermittelt. Alana zuckte zusammen, griff aber folgsam zu. »Träufele nun Wachs auf den Spiegel. Auf die richtige Seite«, setzte Sverre schmunzelnd hinzu.
Alana schnitt ihm eine Grimasse, tat aber, was er sagte. Heißes Wachs tropfte auf den Spiegel und bedeckte nach und nach seine gesamte Fläche. Alana erwartete, dass der Zwerg »Genug, das reicht« sagte, aber er sah ihr schweigend zu, bis der Spiegel von einer schnell erkaltenden Wachsschicht überzogen war.
»Gut so.« Sverre nahm ihr die Kerze ab, und Alana blies auf ihren geröteten Finger, wo sie sich am heißen Wachs verbrannt hatte.
»Jetzt nimm deinen Stein.« Sverre rieb sich über die Augen. Er sah müde aus, fand Alana.
»Warum hält mein Vater dich hier fest?«, fragte sie plötzlich. Die Frage lag ihr schon lange auf der Zunge, aber sie hatte sie nie zu stellen gewagt. Doch der Zwerg erschien ihr heute so traurig, dass ihr das Herz bei seinem Anblick wehtat, und sie konnte nicht länger so tun, als bemerkte sie es nicht.
Ivaylo knurrte unwillig. Er hielt die Frage für unhöflich oder aufdringlich, jedenfalls verriet das sein Gesichtsausdruck.
Sverre kratzte sich den Bart. »Das ist eine direkte Frage, die eine direkte Antwort verlangt, habe ich recht?«
Alana nickte zögernd. »Ich will dich nicht ...«, begann sie, aber der Zwerg winkte ab.
»Lass gut sein. Ich bin während des unseligen Krieges hier gestrandet und darf nun nicht mehr zurück nach Hause. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, die allesamt unschön, wenig erfreulich und nicht dazu angetan sind, meine Laune zu heben und mir den Tag zu versüßen. Lasst uns also lieber nicht darüber sprechen, habe ich recht?« Er tippte auf den Rand des Spiegels. »Nimm deinen Stein, lege ihn auf das Wachs. Ja, genau so.«
Alana hatte inzwischen einige Übung darin, die Kette innerhalb eines Atemzugs zu verlängern und wieder zu verkürzen. Der Zwerg hatte seine Anweisung kaum ausgesprochen, da lag der Sternenstein schon auf dem Spiegel. Alana beugte sich darüber und glaubte, das Spiegelbild des Steins durch das Wachs hindurch erkennen zu können.
»Bleib so«, sagte Sverre leise. Alana spürte, wie eine Hand federleicht ihren Scheitel berührte. »Jetzt betrachte das erste Bild, das erscheint.«
»Was für ein Bild?«, wollte Alana sagen, denn die Wachsschicht war glatt und ohne Makel. Doch die Frage blieb ungestellt. Irgendwo in
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