Sturm im Elfenland
hier wären.« Er hob die Hand in einer verzweifelten Geste. »Ich kann es dir nicht erklären, Erramun. Ich wüsste es einfach. Da ist aber nichts. Es ist Leere. Nicht-Sein. Entweder sind sie wirklich tot und begraben ...«, seine Stimme brach.
»... oder sie leben noch, sind aber an einen Ort verbannt worden, den keine Elfenseele erreichen kann«, vollendete Erramun den Satz.
Ivaylo sah ihn verblüfft an. »Ja, das meinte ich.«
Der Lehrer nickte und starrte ins Feuer. Gelbe Flammen begannen um das neu aufgelegte Holz zu tanzen und es zu verzehren. »Wie stark bist du?«, fragte er.
Ivaylo presste seinen Sternenstein zwischen den Fingern. »Ich habe keine Angst.«
»Das ist gut. Was wir beginnen müssen, erfordert Mut und Stärke. Ich habe erwachsene Elfen, fähige Magier, bei diesem Werk vor Angst zittern und weinen sehen.« Erramun hob die Hand, seine Handfläche nach oben gerichtet, und zeigte sie Ivaylo. Die Stelle, über die immer sein Daumen rieb, war rot und glänzte.
Unwillkürlich berührte Ivaylo die Narbe in seiner eigenen Handfläche. »Du besitzt einen Sternenstein«, sagte er.
Erramun sah ihn an, ohne zu blinzeln. Einen Moment lang erschien sein Blick erstarrt und tot, dann belebte er sich wieder. »Du weißt, was das ist?«
Ivaylo erwiderte den Blick des Lehrers. Dann nickte er. »Ich habe auch einen.«
Erramuns Augen weiteten sich leicht. »Darf ich ihn sehen?«, bat er.
Ivaylo griff nach der Kette, an welcher der Stein hing. Er zögerte. Es widerstrebte ihm einen kurzen Augenblick lang, ihn Erramun zu zeigen. Dann schüttelte er den Kopf, belächelte sein Zaudern und zog die Kette über den Kopf.
Erramun hielt die Kette behutsam zwischen den Fingern und legte den Stein dann auf den Tisch, ohne ihn zu berühren. »Wer hat ihn geschaffen?«, fragte er. »Dein Vater? Und wie kannst du ihn so völlig ungeschützt tragen?«
»Mein Vater, hm ...«, sagte Ivaylo unbestimmt. »Aber wovor sollte ich den Stein denn schützen?«
Erramun lachte. Er berührte den Sternenstein vorsichtig mit dem Fingernagel. »Nicht ihn. Dich.«
Ivaylo sah ihn verständnislos an. Erramun schüttelte den Kopf und holte eine kleine Dose aus der Tasche. »Schau hier. Was denkst du, was das ist?«
Ivaylo beugte sich über die Dose. Sie war fein gearbeitet, mit einem winzigen Verschluss und einer zarten Rune, die ihren Deckel verzierte.
Verzierte? Ivaylo blickte genauer hin. So ein seltsam schimmerndes Metall, war das etwa ‒ »Feensilber«, sagte Ivaylo. »Und die Rune, die vor Schaden schützt.« Er sah den Lehrer fragend an.
Erramun schnippte das kleine Schloss auf. Im Inneren der Dose lag ein unscheinbarer Kiesel, etwa so groß wie zwei Männerdaumennägel. »Fass ihn nicht an«, sagte Erramun scharf, als Ivaylo nach dem Stein greifen wollte. »Was meinst du, warum ich ihn derart gesichert habe?«
Ivaylo faltete die Hände auf dem Rücken und beugte sich wieder über die Dose. »Aber wenn das dein Sternenstein ist, dann kann er mir doch nicht schaden«, sagte er verständnislos.
Erramun zog die Brauen hoch. »Wir sprechen möglicherweise nicht über die gleiche Sache. Das ist Zwergenmagie, sehr kompliziert und schwer zu meistern. Ein echter Sternenstein verbrennt dir die Hand, wenn du dich nicht schützt – zum Beispiel mit einem speziellen Handschuh aus Fischleder.« Er schloss die Dose und steckte sie wieder weg. »Nur mit einem solchen Sternenstein lässt sich ein Tor öffnen. Dein Stein muss irgendetwas anderes sein, wahrscheinlich ein harmloses Spielzeug.«
Ivaylo hielt den Atem an. Ein Tor öffnen ‒ das war es, was er schaffen wollte!
Er packte Erramuns Arm und drückte ihn so fest, dass er den Knochen darin spüren konnte. »Meiner ist ein echter Sternenstein«, beteuerte er. »Ich habe ihn von Trond Hammerschlag selbst bekommen.«
Erramun löste seinen Arm aus Ivaylos Klammergriff. »Der Zwergenkönig?«
Ivaylo nickte ungeduldig. »Das Tor. Du musst mir zeigen, wie man es öffnet! Jetzt!«
Der Lehrer lachte. »Lieber Junge«, sagte er, »das ist kein Zauber, den man eben mal zwischen Abendessen und Sonnenuntergang bewerkstelligt. Er verlangt eine gewisse Vorbereitung. Ich würde vorschlagen, du beschäftigst dich mit dem Buch, das du dir herausgesucht hast. Und vielleicht ...« Er zögerte und warf einen prüfenden Blick auf Ivaylos Stein, der immer noch auf dem Tisch lag.
»Vielleicht?« Ivaylo zügelte mühsam seine Ungeduld.
»Du könntest mir deinen Stein geben, damit ich ihn mir genauer
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