Sturm über Freistatt
drei anderen, die ein bißchen jünger und dunkler waren als er und denen der schützende Schleier aus Zynismus vor den Augen fehlte.
Während Lalo ihn beobachtete, klopfte Zip mit der Faust auf den Tisch, dann machte er sich daran, etwas mit verschüttetem Bier auf die Tischplatte zu zeichnen. Der Maler konzentrierte seinen Blick auf eine andere Weise und sah durch die Maske des Fleisches eine Mischung aus Angst und Fanatismus, die ihn zusammenzucken ließ. Nein, dachte er, vielleicht sollte ich mich dieser besonderen Gabe hier nicht bedienen! Es gab einige Seelen, deren Wahrheit er nicht sehen wollte.
Er zwang sich, den Blick weiter durch die Schankstube wandern zu lassen. In einer Ecke saßen ein Mann und eine Frau und tranken miteinander. Narben alter Kämpfe zeichneten ihre Gesichter, und alte Leidenschaften bewölkten ihre Augen. Sie sahen aus, als gehörten sie zu Jubals Leuten, und Lalo fragte sich, ob sie wieder für ihn arbeiteten. An der hinteren Wand unterhielten sich drei Männer, deren Haltung, trotz ihrer Lumpen, nicht verleugnen konnte, daß sie einmal Soldaten gewesen waren – vielleicht Fahnenflüchtige aus dem Krieg im Norden, oder Söldner, die selbst für das 3. Kommando zu disziplinlos waren? Lalo wollte es gar nicht wissen.
Er nahm einen tiefen Schluck und hustete heftig. Das war es: Seine neuen Sinne waren gegen seinen Willen am Werk, und seine Nasenflügel blähten sich unter dem üblichen Geruch von Tod und Zauberei. Er erinnerte sich an ein Gerücht, das ihm zu Ohren gekommen war: daß Eindaumen, der Wirt des Einhorns, etwas mit der Nisibisihexe Roxane hatte. Vielleicht sollte er lieber mit Wedemir von hier verschwinden …
Doch als er aufstehen wollte, übermannte ihn eine Schwindelgefühl, und ihm wurde klar, daß er in diesem Zustand auf den Straßen Freistatts in nächtlicher Stunde nicht überleben könnte. Außerdem würde Wedemir ihn auslachen, ganz abgesehen davon, daß er ohnehin nicht wüßte, wohin er sich begeben sollte. Seufzend lehnte er sich wieder zurück und trank weiter.
Zwei oder vielleicht drei Krüge später fiel Lalos inzwischen sehr verschwommener Blick auf einen vertrauten dunklen Kopf und die eckige Form eines Harfenkastens, der sich vom hellen Umhang seines Trägers abhob. Lalo blinzelte, bemühte sich um einen klareren Blick und grinste.
»Cappen Varra!« Er winkte dem Mann zu, sich zu ihnen zu setzen. »Ich dachte, du hättest die Stadt verlassen.«
»Das dachte ich auch«, antwortete der Spielmann trocken. »Das Wetter ist zu unsicher für Schiffe, also schloß ich mich einer Karawane nach Ranke an. Ich hoffte, von dort eine nach Caronne zu finden.« Er nahm den Harfenkasten vom Rücken, setzte ihn behutsam auf der Bank ab und zwängte sich in die Nische neben Wedemir.
»Nach Ranke!« rief der Junge. »Ihr hattet Glück, daß Ihr noch lebt!«
»Mein Sohn Wedemir«, stellte Lalo ihn Cappen Varra vor. »Er arbeitet für Ran Alleyn.«
Cappen Varra blickte ihn mit Respekt an und fuhr fort. »Ja, ich glaube auch, daß ich Glück hatte – ich kam in Ranke an, kurz nachdem sie den alten Kaiser umgebracht hatten. Jetzt schwingt ein neuer Mann das Zepter – Theron nennen sie ihn –, und man erzählt sich, daß das Leben von niemandem aus dem alten Kaisergeschlecht mehr als das Versprechen einer Hure wert ist. Also dachte ich mir, Prinz Kittycat sitzt sicher in Freistatt –, vielleicht stehen die Dinge dort jetzt besser.«
Lalo fing zu lachen an, verschluckte sich an seinem Wein und hustete, bis Wedemir ihm auf den Rücken klopfte und er wieder Luft bekam.
»Ihr braucht mir nichts zu sagen.« Cappen Varra machte ein betrübtes Gesicht. »Aber gewiß läßt sich aus der Lage hier etwas machen. Diese Beysiberinnen – glaubt ihr, es gäbe eine Möglichkeit, daß ich …«
»Denk lieber nicht einmal daran, Cappen.« Lalo schüttelte den Kopf. »Zumindest nicht, wie du es gewöhnlich anstellst! Deine Musik mag sie zwar erfreuen, aber es könnte dich das Leben kosten, wenn es auch bloß den Anschein hätte, daß du mehr bieten möchtest!«
Der Spielmann blickte ihn nachdenklich an. »Das habe ich gehört, aber ist es wirklich …«
»Wirklich«, versicherte ihm Wedemir ernst. »Meine Schwester arbeitet für eine ihrer Edelfrauen, und sie sagt, daß alles stimmt.«
»Was soll’s?« Cappen Varra prostete Vater und Sohn zu. »An ihrem Gold ist jedenfalls nichts auszusetzen.« Er trank, dann lächelte er Lalo an. »Als ich Freistatt verließ, warst du der
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