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Sturm über Freistatt

Titel: Sturm über Freistatt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Asprin
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Schenke betreten oder verlassen hatte. Irgendwann hatte jemand ihn am Ärmel gezupft, ein flüchtiger Blick aus den Augenwinkeln hatte ihm Wedemirs bleiches Gesicht gezeigt. »Papa, schon gut – du brauchst nicht weiterzumalen!«
    Lalo stieß einen kehligen Laut hervor und entriß ihm den Arm. Verstand der Junge nicht? Er konnte jetzt nicht aufhören! Hand und Arm bewegten sich von selbst zum nächsten Strich, zum nächsten Schatten, zum nächsten Grauen, während alle Geheimnisse des Wilden Einhorns durch seine Finger auf die Wand flossen.
    Und dann war das Bild fertig. Der Stummel Holzkohle entglitt tauben Fingern und ging im Schmutz auf dem Boden verloren. Lalo zwang seine Muskeln zum Gehorsam, stieg von der Bank hinunter und machte ein paar Schritte rückwärts, um zu sehen, was er getan hatte. Schaudernd erinnerte er sich an den Augenblick, als er ebenfalls einige Schritte rückwärts gemacht hatte, um die Seele des Meuchlers Zanderei zu betrachten. Er schloß kurz die Augen, ehe er sich zwang die Wand anzuschauen.
    Es war schlimmer als erwartet. Wie konnte er soviel Zeit im Einhorn zugebracht haben, ohne je darauf aufmerksam zu werden? Vielleicht hatte der normale Schirm menschlicher Sinne ihn geschützt. Doch wie ein nach Ruhm strebender Krieger hatte er seinen Schild von sich geworfen, und nun war alles Ruchlose, das sich je in dieser Kaschemme getan hatte, an der Wand offenbart.
    »Ist es das, was du kannst? Was du versucht hast, uns zu erklären?« flüsterte Wedemir.
    »Kannst du nicht wenigstens einen Teil davon wegwischen?« fragte Cappen Varra mit bebender Stimme. »Selbst hier … du willst doch das nicht wirklich so lassen …«
    Lalo blickte von ihm zu den betroffenen Gesichtern der anderen, die auf das starrten, was der tanzende Lampenschein enthüllte. Und plötzlich war er wütend. Sie hatten zugesehen, hatten gebilligt, ja sich vielleicht sogar an den Greueltaten beteiligt, aus denen das Bild zusammengesetzt war. Warum waren sie so entsetzt, ihre Missetaten nun vor sich zu sehen?
    Aber der Spielmann hatte recht. Lalo hatte schon öfter Arbeiten vernichtet, wenn sie ihm nicht gefielen. Obwohl dieses Bild nicht wahrheitsgetreuer sein könnte, war es doch besser, es auszulöschen.
    Er trat näher, zerknüllte ein Stück seines Capes und hob es zu dem verzerrten Kopf mit den zurückgelegten Ohren und dem gefährlich spitzen, gewundenen Horn.
    Da funkelte das Auge des Einhorns bösartig.
    Lalo hielt erschrocken im Schritt inne, die Hand noch erhoben. Wie war das möglich? Eine Unebenheit an der Wand oder ein Trick des Lichtes? Er starrte es an und erkannte, daß das Einhornauge rot war. Da pochte seine Hand. Er hob den Daumen – Blut quoll aus der kleinen Schnittwunde.
    »Süße Shipri, behüte uns!« murmelte Lalo, als ihm bewußt wurde, wessen Blut diese Obszönität an der Wand färbte. Seine Hand schoß vorwärts und hielt erneut an, ehe sie die Zeichnung berührte, denn wenn dies sein Blut war, was würde mit ihm geschehen, zerstörte er das Bild? Wie kam er überhaupt dazu, mit dieser Art von Macht zu spielen? Er brauchte die Hilfe eines Erfahrenen!
    Immer noch verhöhnte ihn das Auge des Einhorns, genau so, wie Gilla ihn verhöhnt hatte, als er sie verließ; oder wie ein noch vertrauterer Hohn, den er einmal im Spiegel in einem Gesicht gesehen hatte: einem Gesicht, dessen Mischung aus Gut und Böse ihn in seinem Schrecken bis ins Reich der Götter gejagt hatte. Aber er hatte sich ans Gute gehalten und das Böse gewiß bezwungen! Verzweifelt forschte Lalo in seinem Gedächtnis nach Bildern von der Schönheit der Götter.
    Doch da waren nur Finsternis und das bösartige Auge, das ihn noch mehr in Bann schlug als die Augen der Zauberin Ischade es vermochten, da es sein eigenes war.
    Immer näher kam Lalo der Wand, und sein rechter Arm hing kraftlos an seiner Seite. »Ich bin auch deine Seele« , flüsterte das Einhorn. »Hauch mir Leben ein, und meine Macht wird deine sein. Hast du das nicht gewußt?«
    Lalo stöhnte. Atem entquoll zischend seiner Lunge, und der Holzkohlestaub an der Wand erzitterte. Das rote Auge des Einhorns glühte auf.
    Lalo sah es und würgte, er versuchte seinen Atem zurückzuziehen. Wedemir griff nach seinem Arm, doch Lalo riß sich los und wischte wild über die Wand, aber er wich zurück, als ein Schwall unerträglicher Hitze nach ihm schlug. Er sank in den starken Armen seines Sohnes zusammen.
    »Nein!« krächzte Lalo. »Das habe ich nicht gewollt! Kehr dorthin

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