Sturm ueber Hatton Manor
Verantwortung stellen musste, und was konnte eine größere Verantwortung für einen Mann sein als die Erkenntnis, dass er womöglich ein Kind gezeugt hatte?
Herauszufinden und sich eingestehen zu müssen, dass er der erste Mann war, der mit Faith geschlafen hatte, war ein Schock für ihn gewesen und hatte ihn aus der Bahn geworfen. Wenn er die Augen schloss, konnte er sie sogar jetzt noch vor sich sehen, wie sie mit fünfzehn gewesen war. Allerdings war es eine Frau gewesen, die er vor zwei Nächten in den Armen gehalten hatte, eine Frau, mit der er geschlafen hatte.
Eine Frau, die vorher mit keinem Mann intim gewesen war und aus irgendeinem Grund beschlossen hatte, sich ihm zuerst hinzugeben. Ausgerechnet ihm, der eigentlich ihre letzte Wahl hätte sein dürfen. Warum?
Gereizt wandte Nash sich vom Fenster ab. Wann hatte es je einen logischen Grund für ihr Verhalten gegeben? Faith hatte sich ihre Jungfräulichkeit als Mittel zum Zweck bewahrt – und dann an ihn verschwendet. Vielleicht hatte sie sich genau wie er in einer Situation wiedergefunden, die sie nicht steuern konnte. Vielleicht hatte sie genau wie er …
Was? Nash fluchte leise und runzelte die Stirn, als sein Blick auf seine Aktentasche fiel. Er hatte sie aus dem Wagen mitgenommen. Beinah widerstrebend öffnete er sie und zog einen schmalen Ordner heraus. Aus diesem nahm er die Papiere heraus und breitete sie auf Philips Schreibtisch aus.
Der Inhalt der Berichte von Faith’ Tutoren war ihm so vertraut, dass er fast daraus hätte zitieren können. Sie war eine sehr fleißige und ehrgeizige Studentin gewesen. “Eine ebenso integre wie intelligente junge Frau”, hatte einer der Tutoren über sie geschrieben.
Wie leicht Faith sie getäuscht hatte! Genauso leicht wie seinen Patenonkel … Sein Blick fiel auf ein anderes Blatt. Stirnrunzelnd nahm Nash es in die Hand. Es war ein Brief, den sie an die Treuhänder geschrieben hatte, kurz nachdem sie von Philips Nachlass erfahren hatte. Darin verlieh sie ihrer Überraschung und Dankbarkeit Ausdruck und versprach, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um Philips Vertrauen gerecht zu werden: “Sie wissen gar nicht, wie viel es mir bedeutet, zu wissen, dass Philip an mich und meine Unschuld geglaubt hat …”
Ihre
Unschuld
! Wenn Faith doch nur unschuldig gewesen wäre!
Sie hatte von seiner Sorge um Philips Gesundheitszustand gewusst. Nur wenige Tage bevor sie und ihre kleine Gang ins Haus eingebrochen waren, hatte er mit ihr darüber gesprochen. Aufgrund seiner Besorgnis war er über seinen Schatten gesprungen und hatte sich ihr anvertraut. Hatte er damit etwa unwissentlich zu Philips Schlaganfall und damit auch zu seinem Tod beigetragen?
Faith hatte gewusst, dass er, Nash, nicht da sein und Philip allein sein würde. Das hatte er ihr selbst erzählt. Und sie hatte natürlich auch von Philips kritischem Gesundheitszustand gewusst. Es hatte gewisse Warnsignale gegeben. Philip hatte mehrere Male über eine gewisse “Schwäche” im Arm geklagt – seinem Arzt zufolge Beweis dafür, dass er womöglich sogar schon mehrere leichte Schlaganfälle gehabt hatte.
Was mochte Philip wohl gedacht haben, als er sie sah und ins Haus ließ? Bestimmt hatte er sich über ihren unerwarteten Besuch gefreut. Wie oft hatte er, Nash, sich gequält, indem er sich vorstellte, was sein Patenonkel durchgemacht hatte, nachdem er die Wahrheit erkannt hatte? Dass Faith nicht aus Liebe, sondern aus Habgier zu ihm gekommen war? Und wozu? Er hatte nie mehr als hundert Pfund im Haus gehabt – niemals!
Hundert Pfund.
Nash konnte sich noch gut daran erinnern, wie verwirrt der Anwalt seines Patenonkels gewesen war, als er ihm von seinem Vorhaben erzählte.
“Sie wollen ihr das Studium finanzieren, und sie soll glauben, dass das Geld aus dem Nachlass Ihres verstorbenen Patenonkels stammt?”
Er war völlig perplex, sogar skeptisch gewesen. Doch er, Nash, hatte seinen Plan in die Tat umgesetzt, sodass Faith glauben musste, ihr Erbe würde von verschiedenen anonymen Treuhändern verwaltet werden. Zuerst verschaffte es ihm eine gewisse Befriedigung, zu wissen, dass er so viel Kontrolle über ihr Leben ausübte und sie mit einem Wort vernichten konnte, wenn ihm der Sinn danach stand. Er konnte ihr alles wegnehmen. Und solange die Trauer um seinen Onkel und seine Schuldgefühle noch akut waren, brauchte er diese Genugtuung.
Als später die Berichte von ihren Tutoren eintrafen, in denen diese nicht nur ihre Hingabe, sondern auch ihren
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