Sturm ueber roten Wassern
einstach. »Das ist das Leben, wie es von den Göttern bestimmt wird, die von den Göttern gewollte Ordnung. Hätten diese Leute inbrünstiger gebetet, Ersparnisse zurückgelegt oder mehr Vorsicht im Umgang mit ihrer Habe walten lassen, müssten sie nicht angekrochen kommen und an Saljescas Nächstenliebe appellieren. Es ist nur gerecht, wenn sie von den meisten Leuten verlangt, sich ihre Barmherzigkeit erst zu verdienen.« »Barmherzigkeit?«
»Die Leute bekommen Kost, Logis und die Gelegenheit, gegen ein Entgelt zu arbeiten. Diejenigen, welche die Goldstücke einheimsen, beklagen sich nicht. Sie stecken ihre fette Beute ein und machen sich aus dem Staub.«
»Einer von achtzig gewinnt einen Solari, Baron. Zweifelsohne ist das mehr Geld, als sie in ihrem ganzen Leben je zu Gesicht bekommen haben. Für die restlichen neunundsiebzig ›Spielfiguren‹ bedeutet diese Prämie nur einen Anreiz, der sie dazu verleitet, weiter hier auszuharren, Tag um Tag, Woche um Woche, Strafe um Strafe. Und was ist mit denen, die zu Tode kommen, weil die Dämonen außer Kontrolle geraten? Was haben diese Unglücklichen davon, dass ihnen Gold geboten wurde? An jedem anderen Ort gälte das, was hier passiert, als heimtückischer, gemeiner Mord.«
»Aza Guilla holt diese Menschen aus der Arena zu sich, nicht Sie oder ich oder sonst ein Sterblicher, Fehrwight.« Genrusa furchte die Stirn, und seine Wangen röteten sich.
»Aber Sie haben recht, an jedem anderen Ort würde man es als vorsätzlichen Mord bezeichnen. Aber wir befinden uns hier in Salon Corbeau, und diese Leute kamen aus freien Stücken hierher. So wie Sie und ich. Sie hätten ja daheim bleiben können …«
»Um dort zu verhungern.«
»Bitte. Ich habe die Welt gesehen, Meister Fehrwight. Ich empfehle Ihnen zu reisen, damit Sie Ihren Horizont erweitern und sich eine vernünftigere Perspektive zulegen können. Sicher, ein paar dieser Leute mögen ja eine Pechsträhne gehabt haben. Aber ich wette, dass die meisten einfach nur aus Geldgier hierher getrieben wurden, in der Hoffnung, auf die Schnelle Profit zu machen. Sehen Sie sich doch an, wer gerade in der Arena steht … zumeist junge, gesunde Menschen, oder?«
»Um zu Fuß nach Salon Corbeau zu gelangen, muss man schon jung und robust sein … oder außerordentliches Glück haben, Baron Genrusa.«
»Ich merke schon, dass wir nie auf einen gemeinsamen Nenner kommen werden, Meister Fehrwight. Sentimentalität und Vernunft passen nun mal nicht zusammen. Ich hatte angenommen, ihr Münzenküsser aus Emberlain müsstet aus einem härteren Holz geschnitzt sein.«
»Wir sind vielleicht hart, aber nicht vulgär.«
»Mäßigen Sie sich, Meister Fehrwight. Geben Sie acht, was Sie sagen. Ich sprach Sie an, weil Ihre Haltung mich einfach neugierig machte. Mir scheint, jetzt weiß ich, was mit Ihnen los ist. Zum Schluss noch ein gut gemeinter Rat … Salon Corbeau dürfte für jemanden mit Ihrer Einstellung nicht der gesündeste Aufenthaltsort sein.«
»Meine Geschäfte hier sind schon bald … abgeschlossen.«
»Umso besser für Sie. Doch vielleicht sollten Sie Ihre Arenabesuche noch früher beenden. Ich bin nicht der Einzige, dem Sie aufgefallen sind. Lady Saljescas Wachen reagieren ziemlich empfindlich auf Unmutsbezeigungen, ganz gleich, wo sie zum Ausdruck kommen – ob in der Arena oder darüber.«
Ich könnte dich um den letzten Kupfercentira erleichtern und dich heulend wie ein Baby zurücklassen, wisperte die Stimme in Lockes Kopf. Ich könnte dich so arm machen, dass du deine Nachttöpfe verpfändest, nur damit deine Gläubiger dir nicht die Kehle aufschlitzen.
»Verzeihen Sie mir, Baron. Ich nehme Ihre Worte sehr ernst«, murmelte Locke. »Von nun an werde ich mich bemühen, keinen Anstoß mehr zu erregen.«
8
Am Morgen von Lockes neuntem Tag in Salon Corbeau hatten die Baumondains die Stühle fertiggestellt.
»Sie sehen herrlich aus«, schwärmte Locke und strich mit den Fingern über das lackierte Holz und die Lederpolster. »Sie sind wunderschön, so prächtig, wie ich gehofft hatte. Und was ist mit den … Ergänzungen?«
»Sie wurden wie gewünscht eingefügt, Meister Fehrwight. Exakt nach Ihren Angaben.« Lauris stand neben ihrem Vater in der Werkstatt, während die zehn Jahre alte Parnella sich anstrengte, auf einem alchemischen Herdstein einen Tee zu brühen; die Kochplatte stand auf einem Ecktisch inmitten eines Gewühls aus nicht identifizierbaren Werkzeugen und halb leeren Behältern für
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