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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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die Kanalufer schwappt, lauter und unregelmäßiger. Locke vergegenwärtigte sich, dass das Rauschen und Gurgeln, das rings um sie her erklang und sich allmählich steigerte, von einer Strömung stammte, die sich durch den Fluss zog. Die Lichtreflexe der Buglaterne hüpften und tanzten im Rhythmus mit dem Wasser, das wallte und wogte wie schwarze Seide.
    »Zauberei?«, staunte Locke.
    »Handwerkskunst, Lamora.« Sachte glitt das Boot von der Kanalwand weg, und mithilfe des Riemens hielt Stragos den Kahn in der Mitte des künstlichen Flusses.
    »Heute Nacht weht ein kräftiger Ostwind, und am hinteren Ende meines Gartens stehen Windräder. Man kann sie dazu benutzen, Wasserräder auf dem Grund des Kanals anzutreiben. Bei Windstille können vierzig bis fünfzig Männer den Mechanismus per Hand bedienen. Ich kann die Strömung fließen lassen, wann immer ich will.«
    »In einem geschlossenen Raum kann jeder einen fahren lassen und sich dann damit brüsten, dass er die Winde beherrscht«, meinte Locke. »Obwohl ich zugeben muss, dass dieser Garten … stilvoller ist, als ich gedacht hatte. Einen derart erlesenen Geschmack hätte ich Ihnen nicht zugetraut.«
    »Es freut mich, dass Sie mir Sinn für Ästhetik zugestehen.« Danach steuerte Stragos das Boot eine Zeit lang schweigend weiter; sie umrundeten einen breiten, langgezogenen Bogen, schoben sich unter vorkragenden silbernen Schlingpflanzen vorbei, hörten das Rascheln der Blätter an niedrig hängenden Ästen. In dem Maße, in dem sich die Strömung verstärkte, verdichtete sich die Ausdünstung des mechanischen Flusses – es war kein unangenehmer Geruch, nur ein bisschen schal und irgendwie weniger grün als die Aromen, die aus natürlichen Gewässern aufstiegen, fand Locke.
    »Ich nehme an, dieser Fluss stellt einen geschlossenen Kreislauf dar«, äußerte sich Jean.
    »Ja, das stimmt; auch wenn er mäandert.«
    »Dann frage ich mich … äh … verzeihen Sie, aber wohin bringen Sie uns eigentlich?«
    »Seien Sie nicht so neugierig«, erwiderte Stragos.
    »Da gerade von unserem Ziel die Rede war«, hieb Locke in die gleiche Kerbe, »dürfte ich vielleicht vorschlagen, dass wir zu unserem früheren Thema zurückkehren? Eine Ihrer Wachen muss mir einen Schlag auf den Kopf gegeben haben; mir war so, als hörte ich Sie sagen, Sie wollten uns aufs Meer schicken.«
    »Sie haben richtig gehört.«
    »Und wozu soll das gut sein?«
    »Kennen Sie die Geschichte von der Freien Armada der Geisterwind-Inseln?«, fragte Stragos. »Ein bisschen.«
    »Der Piratenaufstand vom Messing-Meer«, murmelte Jean. »Vor sechs oder sieben Jahren. Er wurde niedergeschlagen.«
    »Ich schlug ihn nieder«, betonte der Archont. »Vor sieben Jahren hatten diese verdammten Narren unten im Geisterwind-Archipel es sich in den Kopf gesetzt, nach Macht zu streben. Sie behaupteten, sie hätten das Recht, den Schiffsverkehr auf dem Messing-Meer mit Steuern zu belegen – und unter besteuern verstanden sie, alles, was auf dem Wasser schwimmt, zu entern und auszuplündern. Diese Aufrührer verfügten über ein Dutzend seetüchtiger Schiffe und ein Dutzend mehr oder weniger tüchtiger Mannschaften.«
    »Bonaire«, warf Jean ein. »So hieß doch der Kapitän, dem sie alle folgten, nicht wahr?
    Laurella Bonaire?«
    »Ganz recht«, stimmte Stragos zu. »Laurella Bonaire und ihre Leguan; Bonaire diente früher bei mir als Offizier, und ich war der Eigner der Leguan, ehe sie die Seiten wechselte.«
    »Und das, obwohl Sie ein so angenehmer, großzügiger Arbeitgeber sind«, spottete Locke.
    »Diese Räuberbande überfiel Nicora und Vel Virazzo, sowie fast jedes kleine Dorf an der nahe gelegenen Küste; in Sichtweite dieses Palastes kaperten sie Schiffe und segelten davon, wenn meine Galeeren ihnen nachsetzten. Seit dem Krieg gegen Camorr, der zur Zeit meines Vorgängers stattfand, waren dies die frechsten Übergriffe, denen sich diese Stadt jemals ausgesetzt sah.«
    »Ich kann mich nicht erinnern, dass dieser Zustand lange gedauert hat«, wandte Jean ein.
    »Vielleicht ein halbes Jahr. Jene Deklaration besiegelte ihren Untergang; Freibeuter können ziemlich unbehelligt schalten und walten, sie entwischen immer wieder. Doch jeder, der sich zu Deklarationen hinreißen lässt, wird früher oder später unweigerlich dazu gezwungen, die Rechte, die er sich anmaßt, im Kampf zu verteidigen. Piraten sind richtigen Marinesoldaten und -soldatinnen nicht gewachsen, wenn es auf offener See zu einem Gefecht kommt. Wir

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