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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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gesamte Anlage selbst entworfen; Kunsthandwerker und ihre Gehilfen benötigten sechs Jahre, um sie zu bauen. Meine kleine Oase der technischen Wunder.«

Trotz seiner Skepsis wusste Locke, dass der Archont die Wahrheit sagte. Bis auf die weißen Rauchwölkchen, die über ihren Köpfen dahinzogen, herrschte an diesem Ort eine unnatürliche, beinahe gespenstische Stille. Nichts rührte oder bewegte sich. Selbst die Luft in diesem eingekapselten Garten stand still, roch nach stehendem Wasser und Leinwand. In einem richtigen Wald hätte sie übersättigt sein müssen mit allen möglichen Düften, den intensiven Ausdünstungen von Erde, Blüte und Fäulnis. »Komme ich Ihnen immer noch vor wie ein Mann, der in einem geschlossenen Raum einen fahren lässt, Lamora? Hier bin ich tatsächlich Herrscher über die Winde …« Stragos hob den rechten Arm hoch über seinen Kopf, und ein Rascheln erfüllte den künstlichen Garten. Ein Luftzug fuhr durch Lockes Haare, stetig an Kraft zunehmend, bis ihm eine kräftige Brise ins Gesicht blies. Rings um sie her begannen die Zweige und Blätter sachte zu schwanken.
    »Und über den Regen!«, rief Stragos. Seine Stimme hallte über das Wasser und verlor sich in den Tiefen des Waldes, der plötzlich zum Leben zu erwachen schien. Im nächsten Moment senkte sich ein warmer Nebel herab, ein die Haut kitzelnder, wässriger Dunst, der sich in geisterhaften Schleifen durch die unechte Vegetation wob und ihr Boot einhüllte. Dann fielen Tropfen von dem Pseudo-Himmel, prasselten leise auf die Blätter und kräuselten die Oberfläche des mechanischen Flusses. Stragos lachte, als Locke und Jean sich tiefer in ihre Röcke eingruben.
    »Und das ist noch längst nicht alles«, brüstete sich Stragos. »Mal sehen, vielleicht kann ich sogar einen Sturm heraufbeschwören!« Ein starker Wind trieb den Regen und den Nebel auf sie zu; der kleine Fluss schäumte, als irgendwo vor ihnen eine Gegenströmung aufkam. Kleine weiße Gischtkämme barsten unter dem Boot hervor, als ob das Wasser kochte; Stragos klammerte sich mit beiden Händen an seinen Baumstamm, während das Boot heftig schaukelte. Die Regentropfen wurden größer und schwerer; Locke musste die Augen mit den Händen abschirmen, um überhaupt noch etwas sehen zu können. Über ihnen ballten sich Wolken aus dichtem, dunklem Nebel zusammen, das Licht der künstlichen Sonne dämpfend. Der Wald wurde lebendig, peitschte mit Zweigen und Blättern auf die Dunstschwaden ein, als kämpfe das imitierte Grün gegen unsichtbare Geister.
    »Nun, ist das etwa nichts?« Abermals lachte Stragos aus voller Kehle. Ohne dass er ein erkennbares Zeichen gegeben hätte, hörte der Regen auf. Allmählich ebbte das wilde Gewoge des Waldes ab, bis nur noch ein sanftes Wispern der Blätter zu hören war, das auch bald verstummte; das sprudelnde Wasser beruhigte sich, und bereits nach wenigen Minuten erstarrte der mechanische Garten wieder in Reglosigkeit. Immer dünner werdende Nebelschleier wanden sich träge um die Bäume, die Sonne lugte zwischen der aufreißenden Wolkendecke hervor, und die Anlage hallte wider von den nicht unangenehmen Geräuschen der Wassertropfen, die von zigtausend Stämmen, Ästen und Wedeln herabperlten.
    Locke schüttelte sich und strich sich das nasse Haar aus den Augen. »Das … das ist wirklich einzigartig, Archont, das muss ich Ihnen lassen. Ich hätte niemals gedacht, dass es so etwas gibt.«
    »Ein Garten in einer Flasche, mit Wetter, das aus der Flasche kommt«, sinnierte Jean. »Warum haben Sie so etwas geschaffen?« Locke stellte die Frage, die sie beide bewegte.
    »Als Erinnerung.« Stragos ließ den Baumstamm los und ließ das Boot wieder langsam in die Mitte des Stromes gleiten.
    »Als Beweis, wozu menschlicher Geist und menschliche Hände imstande sind. Was diese Stadt als einzige auf der ganzen Welt zu leisten vermag. Ich sagte Ihnen bereits, mein Mon Magisteria ist ein Hort des Artifiziellen. Betrachten Sie all diese Dinge als das Ergebnis einer bestimmten Ordnung … einer Ordnung, die ich bewahren und garantieren muss.«
    »Wie zur Hölle verträgt sich Ihr Plan, Tal Verrars Seehandel massiv zu stören, mit Ihrem Auftrag, die hiesige Ordnung zu bewahren?«
    »Kurzfristig wird die Sicherheit geopfert, um ein langfristiges Ziel zu erreichen. In dieser Stadt schlummert ein ungeheures Potenzial, das geweckt werden will, Lamora, damit Tal Verrar sich schließlich zu seiner vollen Blüte entfaltet. Können Sie sich vorstellen,

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