Sturm ueber roten Wassern
Stühle vorsichtig auf dem Fußboden ab, dann zogen sie sich unter Bücklingen zurück und verschwanden die Treppe hinunter. Requin beachtete sie nicht; er kam hinter dem Schreibtisch hervor und war bald dabei, einen Stuhl eingehend zu prüfen, indem er mit einem behandschuhten Finger über die lackierten Flächen strich.
»Eine Reproduktion …«, schlussfolgerte er gedehnt. »Ohne jeden Zweifel … aber wunderschön.« Er wandte sein Augenmerk wieder Locke zu. »Ich hatte ja keine Ahnung, dass Sie wissen, welche Stilrichtungen ich sammle.« »Ich weiß es ja gar nicht«, behauptete Locke. »Ich habe noch nie etwas von diesem Talathri-Wasauchimmer gehört. Vor ein paar Monaten habe ich mit einem betrunkenen Lashani Karten gespielt. Seine Geldmittel waren … knapp, deshalb erklärte ich mich bereit, meinen Gewinn in Sachwerten zu akzeptieren. Ich erhielt vier teure Stühle. Seitdem standen sie in einem Lagerraum, denn ich weiß beim besten Willen nicht, wohin mit ihnen. Dann sah ich all die Dinge, die Sie hier in Ihrem Büro haben, und ich dachte mir, Sie könnten vielleicht etwas mit diesen Stühlen anfangen. Es freut mich, dass sie Ihnen gefallen. Wie ich schon sagte, Sie würden mir einen Gefallen tun, wenn ich sie hier lassen dürfte.« »Erstaunlich«, meinte Requin. »Ich hatte schon immer mit dem Gedanken gespielt, mir Möbelstücke in dieser Stilrichtung anfertigen zu lassen. Ich liebe die Epoche der Letzten Blüte. Bei allen Göttern, besagtem Lashani muss es ja ungeheuer schwergefallen sein, sich von diesen exquisiten Stücken zu trennen.« »An mich sind sie verschwendet, Requin. Ein schöner Stuhl ist für mich ein schöner Stuhl, weiter nichts. Aber gehen Sie bitte vorsichtig damit um. Aus einem mir unerklärlichen Grund bestehen sie aus Holzschaum. Man kann auf ihnen sitzen, darf sie aber nicht zu sehr beanspruchen.«
»Das … kommt sehr unerwartet, Meister Kosta. Ich nehme das Geschenk an. Danke.« Mit offenkundigem Widerstreben kehrte Requin an seinen Platz hinter dem Schreibtisch zurück. »Trotzdem entbindet Sie das nicht von Ihrer Pflicht, Ihren Teil unserer Vereinbarung einzuhalten. Oder mir einige Dinge zur erklären.« Das Lächeln auf seinem Gesicht veränderte sich und erreichte nun nicht länger seine Augen. »Damit hatte ich auch nicht gerechnet. Um gleich damit anzufangen … Stragos scheint es mächtig unter dem Hintern zu brennen. Er schickt Jerome und mich für einige Zeit fort … um etwas für ihn zu erledigen.«
»Er schickt Sie fort?« Von der reservierten Höflichkeit blieb nichts mehr übrig; Requin stellte die Frage in einem leisen, aber drohenden Ton.
Korrupter Wärter, sei mir gnädig. Wirf einem armen Hund einen Happen zu. »Ja, auf eine Seereise«, antwortete Locke. »Zu den Geisterwind-Inseln. Port Prodigal.« »Seltsam. Ich kann mich nicht erinnern, meinen Tresor nach Port Prodigal gebracht zu haben.«
»Aber dieser Ausflug hat damit zu tun.« Inwiefern bloß, verdammt noch mal? »Wir … sind hinter etwas her.« Scheiße. Wie komme ich nur aus dem Schlamassel wieder raus? »Genauer gesagt, sollen wir eine bestimmte Person ausfindig machen. Haben Sie schon … äh … haben Sie vielleicht …« »Was hätte ich vielleicht?«
»Ich wollte fragen, ob Sie schon von einem … Mann namens … Calo … Callas … gehört haben?«
»Nein. Was soll denn mit ihm sein?«
»Er … äh … nun ja, ich komme mir ein bisschen blöd vor. Ich dachte, der Name sei Ihnen bekannt. Ich selbst bin mir nämlich nicht mal sicher, ob dieser Kerl überhaupt existiert. Möglicherweise ist er ja auch nur ein Gerücht. Und Sie wissen mit absoluter Bestimmtheit, dass Sie diesen Namen noch nie zuvor gehört haben?« »Ja. Selendri?«
»Der Name sagt mir gar nichts«, erwiderte sie.
»Was hat es mit diesem Mann denn angeblich auf sich?« Requin faltete seine behandschuhten Hände auf dem Tisch.
»Er ist …« Wer oder was könnte dieser Typ sein? Aus welchem Grund schickt man uns von Tal Verrar fort, wenn der Tresor, den wir knacken sollen, hier steht? Oh … Korrupter Wärter, ich hab’s Danke für die Eingebung! »… eine Art Meisterdieb. Stragos’ Spione haben ein ganzes Dossier über ihn angelegt. Er rühmt sich, jedes Schloss öffnen zu können, offenbar ist er ein hoch talentierter Mechaniker. Wie es scheint, hat er seine kriminelle Laufbahn aufgegeben, um die Früchte seines arbeitsreichen Lebens zu genießen. Locke und ich sollen ihn überreden, noch einen einzigen Auftrag
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